Neues aus der Globukalypse

Was macht ein Terrorismusexperte bei einem Anti-Homöopathie-Verein?

Aus dem Umfeld des "Informationsnetzwerk Homöopathie" kommen schräge Töne: Chef-Sprecher Dr. Lübbers vermeldet die Erkenntnis, dass es eine Verbindung zwischen Globuli und Terrorismus gibt. Auf dem Umweg der Querdenker führe das Globulinehmen zu einer wachsenden Terrorgefahr. Bindeglied zwischen beiden sei die Wissenschaftsfeindlichkeit, so der Aktivist aus dem INH. Homöopathie sei also brandgefährlich für die Gesellschaft, so das Credo von Dr. Lübbers. Höchste Zeit, sie aus der Medizin mit Stumpf und Stiel auszureißen. Wenn das nur so einfach wäre ...
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Deutschland galt immer als Land der Vereinsmeier. Das scheint auch heute noch so zu sein. Für alles und jedes gibt es einen Verein. So auch einen der Anti-Globuli-Freunde. Sie haben sich als „Informationsnetzwerk Homöopathie“ (INH) das Ziel gesetzt, die Homöopathie aus Medizin und Gesellschaft auszumerzen. Chefsprecher des Vereins ist Dr. L. aus W., ein HNO-Arzt aus dem Bayerischen. Seit Jahren kämpft er mit Feuereifer gegen die Globulizunft, dieser existenziellen Bedrohung für das medizinische Abendland.

Dr. L. mag Twitter. Als Schöpfer und geistiger Kopf hinter #Globukalypse wettert er dort häufig und gerne gegen Globuli und jene, die sie anwenden. Das macht ihm sichtlich Spaß. Seiner Community offenbar auch. „Hau den Lukas“ war auf den Jahrmärkten früherer Jahrzehnte stets ein beliebter Zeitvertreib für Halbstarke. Dieses Spiel gibt es eben jetzt auf Twitter. Wir leben in anderen Zeiten. Neulich ließ der Doktor wieder einen Tweet vom Stapel, der das Herz eines jeden Globuliverächters hochschlagen ließ. Quintessenz des 280-Zeichen-Ergusses war: „Homöopathie bereitet den Weg zur Unwissenschaftlichkeit, Unwissenschaftlichkeit führt geradewegs zum Querdenkertum und Querdenkertum mündet im Terrorismus. Deshalb: Null Toleranz, denn das kostet Menschenleben!“ Nun also die Terrorismuskeule, während die Nazikeule in der anderen Hand noch immer freudig am Schwingen ist.

Wenn man die Anti-Globuli-Szene beobachtet fällt auf: die Attacken werden härter. Es fing mal mit Spinnern und Scharlatanen an, ging mit Betrügern und Mafiosi weiter, und jetzt sind wir inzwischen bei Antisemiten und Terroristen angekommen. Alles wegen ein paar süßen, unschuldigen Zuckerkügelchen. Der unvoreingenommene Beobachter reibt sich verwundert die Augen. Was ist denn hier los? Nun, der überzeugte Anti-Globulist hat seine Gründe, die hier zu wiederholen wohl langweilen dürfte. Grundtenor aller vorgebrachten Einwände ist die Unwissenschaftlichkeit der Homöopathie. Ein gerne gebrauchtes Wort in diesem Zusammenhang ist „Wissenschaftsfeindlichkeit“. Wer Globuli herstellt, sie verordnet oder sie auch nur anwendet, der ist ein Feind der Wissenschaft. Das ist ein schwerwiegender Vorwurf. Denn, so die Vereinsmeier des INH, wer ein Feind der Wissenschaft ist, ist ein Feind der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, ein Feind der Gesellschaft und ein Feind eines humanistischen und ethischen Wertekanons. Nun kann man die Frage stellen, wer eigentlich den Begriff „Feinde der Wissenschaft“ definiert. Und übrigens: Was ist die Definition von Wissenschaft eigentlich?

In der Szene der Anti-Globulisten wird Wissenschaft meist als radikaler Szientismus verstanden. Dieser sagt aus, dass Wissenschaft mit Naturwissenschaft gleichzusetzen ist. Demnach ist alles in der Welt mit Mitteln der Naturwissenschaft beschreib- und erklärbar. Was sich der naturwissenschaftlichen Erklärung entzieht, ist einfach nicht existent, eine Fata Morgana für Gläubige jedweder Couleur. Wissenschaften außerhalb der Naturwissenschaft können keine Wissenschaftlichkeit für sich reklamieren, wenn sie keine rein naturwissenschaftliche Basis haben. Entsprechend dieses Weltbildes erklärt es sich von selbst, dass Szientisten Methoden wie die Homöopathie grundsätzlich ablehnen. Das ist vollkommen nachvollziehbar und wäre auch nicht weiter bedenkenswert, würden die Anti-Globulisten mit dieser Ansicht nicht selbst wieder in Konflikt mit der Wissenschaft treten. Denn der radikale Szientismus steht dem verminten Feld der Wissenschaftsfeindlichkeit näher als es dessen Vertretern lieb ist. 

Die Wissenschaft an sich mit einer bestimmten Form der Wissenschaftstheorie (hier dem Positivismus) gleichzusetzen, ist mehr als gewagt. Denn damit kommt der Feind aller Wissenschaft, das Dogma, durch die Hintertür. Es ist jenes Dogma, dass es zur Erforschung der gesamten Realität nur einen einzigen Weg des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns gebe, nämlich den streng naturwissenschaftlichen. Das erinnert an den alten römischen Spruch, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gibt. Womit sich der Bogen weit ins Religiöse spannt. In diesem Anspruch, den einzig wahren Weg zu Wahrheit und Erkenntnis zu besitzen, stehen sich der Szientismus und die Religion auffallend nahe. So manche Anti-Globuli-Kämpfer haben wohl ein Problem mit dem Verlust einer Sicherheit gebenden Rückbindung ins Metaphysische – und suchen nun ebensolche im rein Physischen, bzw. Physikalischen. Kann man machen, wenn man einer solchen Art von „religio“ bedarf. Nur sollte man das nicht mit Wissenschaftlichkeit gleichsetzen.  

Solch erkenntnistheoretische Überlegungen sind nicht unbedingt die Welt, in der sich Anti-Globuli-Aktivisten wie Dr. L. aus W. wohlfühlen. Sie lieben nun mal den medial zwitschernden Jahrmarkt über alles. Wohl der Einfachheit wegen. Der Einfachheit im Denken. Wo es sich so wohlig einnisten lässt in einem minimalistischen Entweder-Oder, das Schutz bietet vor dem gefährlichen Sowohl-als-auch, das doch nichts als Angst macht. Diese unheimliche Angst, dass doch etwas dran sein könnte an diesem imprägnierten Zucker. Doch diese Angst wird wirksam unterdrückt. Ein bedingungsloser Kampf eignet sich da bestens als Kompensator.  

So werden sich die Freundinnen und Freunde der Homöopathie wohl bald auf die nächsten Schläge der globuliphoben Marktbuden-Rambos einstellen müssen. Aber, wie soll man auf sie reagieren, wenn man wie neulich so plump mit Terrorismus in Verbindung gebracht wird? Entrüstete Kommentare schreiben? Mit gleicher Münze heimzahlen? Energie zu vergeuden war noch nie eine gute Idee. Man könnte sich ja zurücklehnen und dem weiteren Gang der surrealen Komödie zuschauen. Und staunen, wie aus so engumgrenzten Denkräumen derart aufgeblähter Nonsens entweichen kann. Und darauf vertrauen, dass alle ach so Selbstsicheren irgendwann immer ins Straucheln kommen. Und dafür gewappnet sein. Ergo: Man darf gleichsam ge- wie entspannt sein.