„Macht keinen Spaß“ – Warum Eckart von Hirschhausen nicht über Homöopathie diskutieren will.

Screenshot von https://www.spektrum.de/video/recht-gute-medizin/1702270

Eckart von Hirschhausen mag keine Globuli. Eckart von Hirschhausen mag aber Natalie Grams. Eckart von Hirschhausen mag Natalie Grams, weil es Spaß macht, von ihr gesagt zu bekommen, warum er Globuli nicht mögen soll

„Haaa! Ich könnte ihr lange zuhören …“ Mit diesen Worten beendet Eckart von Hirschhausen ein Interview mit der Homöopathie-Gegnerin Natalie Grams, in dem er für deren neues Podcast wirbt (1). Der medial allgegenwärtige Kabarettist, Showmaster, Autor und Mediziner ist ein Freund der sogenannten „Skeptiker“, die gegen alles zu Felde ziehen, was mit dem streng rationalistischen und materialistischen Weltbild der Naturwissenschaft in Konflikt steht, also auch gegen die Homöopathie. Da reiht sich Eckart von Hirschhausen gerne ein und redet auch einmal auf entsprechenden Veranstaltungen.

Mit überzeugten Homöopathieanhängern möchte Hirschhausen hingegen nicht diskutieren. Der Grund ist simpel: Es mache keinen Spaß und bringe auch niemandem etwas (2). Diskutieren müsse man auch nicht über die Studienlage zur Homöopathie. Die sei eindeutig: An den Globuli ist nichts dran. Das sei alles klar und inzwischen wissenschaftlich belegt. Über tausend Studien würden das zeigen (3). Man sieht: Auch rote Nasen schützen vor Fake-News nicht. Stimmt nämlich alles nicht: Die Studienlage ist eben nicht eindeutig. Keine einzige Studie hat die Homöopathie widerlegt, schon gar keine tausend. Vielleicht will der Humor-Mediziner auch deshalb nicht mit Homöopathen diskutieren. Er könnte ja mit den Tatsachen konfrontiert werden. Er könnte auch erkennen müssen, dass man den Angaben der Skeptiker nicht unbesehen Glauben schenken darf. Klar: Das würde ihm keinen Spaß machen.

Sich auf Grund vermeintlicher Spaßlosigkeit einer Diskussion zu verweigern, ist wenig souverän. Eckart von Hirschhausen bedient nun mal andere Formate: Show und Quiz sind eben nicht aufs Nachdenken ausgerichtet.

Ich denke, eine Diskussion sollte nicht in erster Linie Spaß machen, sondern das Denken und Urteilen der Diskutierenden schulen. Eine Diskussion sollte die Fähigkeit trainieren, sich der Sichtweise und den Überzeugungen des Gegenübers zu öffnen. Solche Diskussionen können unbequem aber inspirierend sein. Wer von vornherein ausschließt, von seiner Meinung abzuweichen, sollte in keine Diskussion gehen. Dass Eckart von Hirschhausen der Spaß natürlich sehr wichtig ist, ist nachvollziehbar. Aber sich aufgrund vermeintlicher Spaßlosigkeit einer Diskussion zu verweigern, ist wenig souverän. Eckart von Hirschhausen bedient nun mal andere Formate: Show und Quiz sind eben nicht aufs Nachdenken ausgerichtet. Dabei kann er durchaus auch anders, was er in anderen Bereichen schon unter Beweis gestellt hat, in Büchern etwa oder in TV-Dokus. Aber die Sache mit den Zuckerkügelchen eignet sich für ihn scheinbar nicht für die „seriöse“ Ebene medialer Darstellung. Beim Thema Globuli geht es ums Spaß haben. Und den hat er scheinbar, wenn er sich über die Anhänger Hahnemanns lustig macht.

Übrigens: Eckart von Hirschhausen mag keine weißen Kügelchen, wohl aber rote. Die sind zwar etwas größer als die weißen und bestehen nicht aus Zucker sondern aus Schaumstoff. Man kann sie sich auf die Nase stecken. In beiden ist nichts drin außer Zucker bzw. Kunststoff. Erst wenn sie in direkten Kontakt mit Menschen kommen, passiert etwas mit ihnen. Etwas Zauberhaftes. Etwas Magisches. Etwas Unbeschreibliches. Ohne Mensch sind sie nichts. Erst die Beziehung erschafft eine neue Wirklichkeit. Also doch alles Placebo? Ja und nein … Darüber könnte man nun diskutieren. Wenn man denn wollte. Ich vermute, Eckart von Hirschhausen hört da lieber weiterhin Natalie Grams zu. Ist weniger anstrengend. Macht mehr Spaß.

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(1) Podcast Recht gute Medizin auf Spektrum.de: https://www.spektrum.de/video/recht-gute-medizin/1702270

(2) Skeptiker-Interview mit Eckart von Hirschhausen auf blog.gwup.net: https://blog.gwup.net/2016/12/15/skeptiker-interview-mit-eckart-von-hirschhausen-ich-mochte-vermitteln/

(3) Eckhart von Hirschhausen: Die wundersame Macht der Gedanken, in „Sternstunde Philosophie“: https://www.youtube.com/watch?v=iFVeIkE1OXs

Buchtipp: Warum mag Meister Eckart keine Globuli – Fragen an einen weisen Arzt

Abschreiben: Sehr gut – Medizinstudierende fordern Globuli-Aus

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Wenn man etwas nicht weiß, versucht man sich die Informationen woanders zu holen. Das gehört zum inoffiziellen Lernstoff jeder Schule, d.h. Schülerinnen und Schüler lernen das als eine der grundlegenden Reaktionsmuster in ihren Lehranstalten schon sehr früh. Autodidaktisch, deshalb inoffiziell. Bei Klassenarbeiten und Prüfungen nennt man das spicken. Das Muster wird verinnerlicht und auch in späteren Lehr- und Ausbildungszeiten gerne angewendet. Selbst an Universitäten von Studierenden. Auch solchen, die Medizin studieren.

Diese haben 2004 einen Verein gegründet: die „Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V.“ Sie vertritt nach eigenen Angaben über 90 000 angehende Ärztinnen und Ärzte. Als Interessenvertretung dient der Verein der Meinungsbildung der Medizinstudierendenschaft und verschafft dieser eine Stimme auf Bundesebene. Damit sich die Medizinstudierenden in Deutschland zu einem Sachverhalt eine Meinung bilden können, verfasst die Bundesvertretung Positionspapiere. Mitte Mai 2020 veröffentlichte sie ein solches zur Homöopathie. Dieses beginnt mit dem Satz: „Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. (bvmd) stellt die fehlende Evidenz für die Wirksamkeit homöopathischer Behandlungen und Arzneimittel fest“. Somit sollen alle angehende Ärztinnen und Ärzte eine klare Position zur Homöopathie einnehmen: Sie ist unwirksam und damit abzulehnen – mit den daraus folgenden politischen Forderungen: Raus aus Apothekenpflicht und Krankenversicherung, keine Aus- und Weiterbildung in Homöopathie mehr, Verpflichtung, bei Werbung auf die angeblich fehlende Wirksamkeit aufmerksam zu machen etc. Wie sind die Jungakademiker auf diese eindeutige Einschätzung gekommen? Wie man es halt auch an Unis immer wieder macht: durch Spicken und Abschreiben.

Natürlich haben Medizinstudierende für gewöhnlich null Ahnung von Homöopathie. Das ist kein Vorwurf. Schließlich ist man/frau ja an der Uni, um Wissenslücken zu schließen. Ihr Wissen über Globuli haben sie aber nicht an der Hochschule erhalten sondern durch das Studium der Veröffentlichungen von Meinungsbildner zum Thema. Und da gibt es für sie scheinbar nur einen wirklich seriösen: Das „Informationsnetzwerk Homöopathie“ (INH). Dessen Kernanliegen ist es, „dass der Homöopathie keine öffentliche Glaubwürdigkeit und auch kein Platz im öffentlichen Gesundheitswesen mehr eingeräumt wird.“ (Offener Brief an Ministerpräsidentin Manuela Schwesig von 2019). Das Positionspapier zur Homöopathie liest sich wie eins zu eins vom INH übernommen. Es läuft also so: Organisierte Homöopathie-Gegner haben das erklärte Ziel, die öffentliche Reputation der Homöopathie zu zerschlagen. Sie präsentieren ihre Einschätzung als zweifelsfreie Fakten. In der Sache unkundige Vertreter der Medizinstudierenden übernehmen diese Einschätzung und präsentieren sie als offizielle Feststellung ihren Mitgliedern. Folge: Über 90 000 angehende Medizinerinnen und Mediziner übernehmen die Meinung „Globuli sind Humbug“, weil ihre Interessenvertreter diese als Positionspapier so veröffentlicht, und diese wiederum beim INH abgeschrieben haben.   

Studien, Reviews und Metaanalysen sind Interpretationen von nackten Zahlen. Man kann diese als Fakten bezeichnen, aber gewiss nicht als „zweifelsfrei“ oder „eindeutig“.

Die Studierendenvertreter argumentieren, es sei zweifelsfreier Fakt, dass Globuli keine Wirksamkeit hätten. Nein, das ist kein Fakt (zumindest kein zweifelsfreier), das ist die Einschätzung der gegenwärtigen Datenlage durch eine Mehrheit der Wissenschaftler. Diese Daten stammen aus Studien, Reviews und Metaanalysen. Die Zahlen und Statistiken aber sind nicht einheitlich. Man muss die überwiegende Mehrzahl der Daten ausklammern, um zum Schluss zu kommen, Homöopathie habe keine Evidenz. Studien, Reviews und Metaanalysen sind Interpretationen von nackten Zahlen. Man kann diese als Fakten bezeichnen, aber gewiss nicht als „zweifelsfrei“ oder „eindeutig“. Die gegenwärtige Studienlage als Grundlage herzunehmen, über die Homöopathie ein definitives und endgültiges Urteil zu sprechen ist unwissenschaftlich.

„Aber es ist doch allgemeiner wissenschaftlicher Konsens …“ wird nun gleich eingewendet. Mag sein. Aber der ist auch kein Fakt. Auch der ist eine Meinungsbildung innerhalb der Wissenschaft, der allgemein akzeptiert wird. Nur hat sich der wissenschaftliche Konsens immer geändert. Galileo Galilei hat der wissenschaftliche Konsens des frühen 17. Jahrhunderts fast das Genick gebrochen. Ob das die Medizinstudierenden zum Nachdenken bringt, und der Drehzahl ihres jugendlich-forschen Drives etwas den Schwung nimmt? Das mag man bezweifeln. Man dürfte zur Antwort erhalten: „Medizin hat sich an harte Fakten zu halten – auch wenn die Wissenschaft nur der Meinung ist, sie seien hart. Und schließlich: Wo nichts drin ist, kann auch nichts wirken. Noch Fragen?“ Ja, liebende Studierendenvertreter. Noch viele.

Patienten funktionieren nur selten nach Lehrbuch und widersetzen sich oft einem therapeutischen Schema F, sei es noch so wissenschaftlich fundiert. Das haben sie mit Globuli gemein.

Auch ihr werdet euch noch viele stellen müssen, wenn das Studentenleben einmal ein Ende hat, und euer Alltag von den Krankheiten und Leiden der euch Anvertrauten bestimmt wird. Werdet ihr dann auch die schätzungsweise 80 Prozent der Therapien der offiziellen Medizin ablehnen, denen ebenfalls eine zweifelsfreie und eindeutige Evidenz fehlt? Werdet ihr nie ein Antidepressivum verschreiben, weil die Studienlage belegt, dass deren Evidenz äußerst mangelhaft ist? Was werdet ihr tun, wenn eine Patientin, ein Patient erfolglos aber leitliniengetreu austherapiert wurde? Habt ihr dann auch nur die Floskel parat: „Tja, da müssen sie halt damit leben?“ Praktisch angewandte Medizin ist ein verdammt hartes Geschäft. Ihr werdet bald feststellen: Patienten sind „Problemmenschen“. Sie funktionieren nur selten nach Lehrbuch und widersetzen sich oft einem therapeutischen Schema F, sei es noch so wissenschaftlich fundiert. Das haben sie mit Globuli gemein. Globuli kann man ablehnen und einen großen Bogen um sie machen. Um Patienten nicht. Zumindest nicht, wenn man als Ärztin oder Arzt arbeitet. Ansonsten müsste man aus dem Arztberuf aussteigen. Das wäre konsequent. Dafür gibt es ja bei den Homöopathie-Gegnern ein prominentes Beispiel.

Von Denkallergien und anderen intellektuellen Flatulenzen

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Unter Schädel- und Bauchdecke verbergen sich Ähnlichkeiten. Hier die Schlingen, denen unser Denken entspringt, dort jene, die für das Verdauen zuständig sind. Hirn und Darm (zumindest der dünne) sehen sich verblüffend ähnlich. Inzwischen weiß man, dass sie auch nerval verdammt gut vernetzt sind. Im Ausscheiden sind sie ebenfalls verwandt. Sie sondern beständig etwas ab. Da Gedanken, dort Exkremente. Ob die sich auch ähneln, hängt von der Person ab, denen Hirn und Darm gehören. Damit kommen wir zur Sache.

Arno Frank ist Korrespondent für Inneres bei der taz, jener Zeitung mit Tatze und Identitätskrise. Letzterer ist es wohl geschuldet, dass Herr Frank sich Gedanken über die Verknüpfungen der Bio-Szene mit den Corona-Verschwörungsanhängern machte. In einem langen Artikel sinnierte er über die Frage, ob Bio wirr mache. Mit wirr meint Herr Frank Meisen. Nicht reale, nein, vielmehr solche, die man hat, wenn man dummes Zeug denkt oder tut. So wie die Verschwörungsanhänger, die Bill Gates als Wiedergeburt Satans und Angela Merkel als dessen willige Marionette betrachten. So, wie der Ober-Veganer Attila Hildmann oder der Rapunzel-Chef Joseph Wilhelm, der seine Naturkost mit braungetünchten Verschwörungsflausen garniert unters grün-alternativ-ökologisch-homöopathische Volk bringen möchte. Oder so, wie die „durchgeknallte“ Riege der Impfgegner. So, wie die völkisch Nationalen, die Natur als Blut und Scholle definieren. Bio-Nazis eben. Herr Frank hat sich einen großen Topf besorgt, in den er alles werfen kann. Differenzieren ist nicht so seine Sache. Stört wohl auch den rundumschlagenden Schreibfluss.

Die Ökos, Bios, Homöos und Faschos sind aus ein und demselben Sumpf gekrochen . Wer ganzheitlich denkt, ist auch ein Freund von Brauntönen aller Art.

Dazu berechtigt sieht er sich durch gewisse „wissenschaftliche Erkenntnisse“, die Ökos, Bios, Homöos und Faschos aus ein und demselben Sumpf gekrochen betrachten. Wer ganzheitlich denke, sei auch ein Freund von Brauntönen aller Art. Das läge daran, „dass alles ‚Alternative‘, das Faschistoide wie das Ökologische, der gleichen Ursuppe entstiegen ist“, so der Mann von der taz im schleimfreien Brustton der Überzeugung. Frank glaubt zu wissen, dass sich das Grün der Öko-Bewegung aus dem Braun der Faschisten entwickelt habe. Und die Globuli der Hahnemann-Jünger erschienen nur äußerlich im Weiß der sanftmedizinischen Unschuld. Was Frank als „Ursuppe“ bezeichnet, definiert er leider nicht genau. Es soll etwas Aufständisches sein, etwas, das sich gegen politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder wissenschaftliche Systeme stellt. Dadurch, dass es anders denkt, als man es im jeweiligen System erwartet oder verlangt. So wie man sich damals mit Freikörperkultur, Naturkost und aufmüpfiger Kunst gegen das Kaiserreich stemmte – so Franks Beispiel. Was dann scheinbar wegbereitend direkt in den Nationalsozialismus führte. Schließlich war dessen Begründer nicht nur größenwahnsinnig, sondern auch bekennender Vegetarier, wie Frank es den Lesenden nochmals mahnend ins Gedächtnis ruft.

„Die Waren sind weder verpackt, noch geordnet“ moniert Herr Frank, und verweist lobend auf die Reinraumatmosphäre bei Aldi und Rewe, die scheinbar noch immer jeden Deutschen (m/w/d) beglückt.

Dass es eine braun-esoterische Szene gibt, ist seit langem bekannt. Dass sich diese mit jener ökologischen Szene mit besserverdienendem Hintergrund sehr weit überschneide (der sich inzwischen große Teile der Bevölkerung als zumindest nahestehend empfinden), ist die bloße Meinung des Schreibers. Umfragen besagen genau das Gegenteil. Deren Zahlen erwähnt auch Frank, um im nächsten Satz ganz tief in den Sumpf des Subjektiven abzutauchen. Egal, was die Zahlen sagen, man müsse doch nur in so einen Bioladen gehen: Da rieche es schon beim Betreten nach dem unappetitlichen Schrumpelgemüse, dem man den Konservierungsstoffmangel bereits von weitem ansehe. „Die Waren sind weder verpackt, noch geordnet“ moniert Herr Frank, und verweist lobend auf die Reinraumatmosphäre bei Aldi und Rewe, die scheinbar noch immer jeden Deutschen (m/w/d) beglückt. Bioläden sind für ihn ein geweihter Bezirk, dort einzukaufen eine Kulthandlung. Und alle, die darauf stehen, hätten besagte Meise unterm Pony oder nicht alle Tassen im Schrank.

Womit wir wieder beim Schädel und unserem Denkorgan angelangt sind. Und seinen Verknüpfungen zu Bauch und Verdauung. Immer mehr Menschen leiden unter Nahrungsmittelallergien. Dabei wehrt sich die Darmschleimhaut gegen an sich harmlose Nahrungsbestandteile, erkennt sie als fremd und gefährlich, und beginnt sie zu bekämpfen. Die Folgen dieses Kampfes spüren die Leidtragenden nicht selten beträchtlich: Durchfall, Schmerzen, Blähungen, oder Symptome über den ganzen Körper verteilt. Vielleicht gibt es solche pathologischen Vorgänge ja auch im Gehirn – sozusagen als Denkallergien. Der Denkallergiker macht aus für ihn fremden Gedanken, die er nicht versteht, nicht nachvollziehen und in sein Denksystem einordnen kann, höchst gefährliche Eindringlinge, gegen die konsequent vorgegangen werden muss. Wie im Darm kommt es dabei zu Beschwerden. Im Bereich Bauch mit am unangenehmsten sind die häufigen gasigen Entweichungen. Ähnlich verhält es sich bei der Denkallergie. Nur ist dort das Entweichen komplexer als beim Darm. Es zeigt sich mitunter in intellektuell-geistigen Ergüssen, mal verbaler, mal literarischer Art. Herr Frank zählt wohl zu diesen bedauernswerten Zeitgenossen mit Denkallergie. Nur einen wichtigen Unterschied gibt es zwischen intestinalen und intellektuellen Fürzen: Erstere verflüchtigen sich recht bald wieder. Bei letzteren gibt es heutzutage eine virtuelle Konservierung. So wird auch sein Artikel „Macht Bio wirr?“ wohl zu einem digitalisierten Dauerfurz ohne Verfallsdatum. Wohl dem, der noch bio furzen kann.

„Gute Medizin braucht keine Alternative“ – Wirklich nicht?

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Skeptiker mögen keine Globuli, das weiß man inzwischen. Seit einiger Zeit arbeiten sie emsig daran, dass auch die Gesellschaft keine Globuli mehr mag. Und auch keine Akupunkturnadeln. Und keine Eurythmie. Und keine Osteopathie (eine weitere Aufzählung erspare ich mir und Ihnen).  Das nennen sie Aufklärung. Aufklärung verstehen die Skeptiker im Sinne von „über die richtigen Fakten aufklären“. Von diesen Fakten haben sie eine ganze Menge in ihrem Argumentationsköcher: einige scharfe Pfeile (sprich Argumente), mehr stumpfe Pfeile als man denkt, und nicht wenige zurechtgebogene Pfeile. Ich möchte letztere „Pseudo-Argumente“ nennen. Ein solches ist der Ausspruch: „Gute Medizin braucht keine Alternative“. Man könnte die Aussage auch so formulieren: Gute Medizin ist alternativlos.

Was ist gute Medizin? Gute Medizin hilft dem Kranken so gut es geht und schadet ihm so wenig wie möglich. Beides gehört zusammen, sonst kann man nicht von guter Medizin sprechen. Allein dass man dies betonen muss zeigt schon: Medizin scheint ambivalent zu sein. Wo gehobelt wird, fallen Späne. Wo behandelt wird, gibt es therapeutische Kollateralschäden. So ist es in der Medizin seit es sie gibt. Die Medizin hat sich im Laufe der Jahrhunderte weiterentwickelt und Vieles ist heil- oder zumindest behandelbar geworden, was früher unweigerlich zum Tode führte. Damit haben aber auch die möglichen Schäden zugenommen, die durch die Medizin entstehen können. Das aber nur nebenbei. Um diesen Aspekt geht es eigentlich nur am Rande. Viel wichtiger ist die Frage, wie viel Hilfe, Linderung oder Heilung eine Medizin wirklich bieten muss, damit sie auf Alternativen verzichten kann. Die Antwort ist einfach: Sie muss in jedem einzelnen Fall, vollkommen, vollständig und dauerhaft wirksam sein. Kann sie diesen Anspruch nicht erfüllen, muss sie entweder mit den Achseln zucken oder nach Alternativen Ausschau halten.

Das nicht selten zu hörende „Damit müssen Sie halt leben – der Nächste bitte“ ist eigentlich ein Schlag ins Gesicht der therapeutischen Ethik.

Die erste Möglichkeit sollte immer die allerletzte Option sein. Mit ihr wird in der Medizin viel zu leichtfertig umgegangen. Das nicht selten zu hörende „Damit müssen Sie halt leben – der Nächste bitte“ ist eigentlich ein Schlag ins Gesicht der therapeutischen Ethik. In der Regel (so ist zumindest zu hoffen) wird auch in jeder konventionellen Behandlung nach Alternativen gesucht, wenn die bestmögliche und leitliniengerechte Therapie versagt (was häufiger vorkommt als man denkt). Dann versucht man es eben mit Methoden oder Mitteln, die weniger Evidenz haben, aber doch vielleicht hilfreich sein können. Insoweit gibt es in der Schulmedizin jede Menge „Alternativmedizin“. Aber gute Medizin soll ja ohne Alternativen auskommen, will man uns weismachen. Diese „gute Medizin“ der Skeptiker ist keine Vision, sie ist eine Illusion. Das Scheitern gehört zum täglichen Brot jeder therapeutischen Arbeit, so wie Knecht Ruprecht zu Sankt Nikolaus.

In der Medizin braucht der Griff ins Alternative bisweilen Mut. Gerade wenn das Spektrum der anerkannten Therapien ausgereizt ist. Spätestens dann setzen die meisten Schulmediziner ihre Achseln in Bewegung: Das war’s dann. Die Mutigen unter ihnen schauen in solchen Fällen nicht nur über den Tellerrand, sondern greifen auch über ihn hinaus. Erfahrene Praktiker haben da oft am wenigsten Berührungsängste: „Ich sag’s nur unter der Hand, aber in XY gibt’s einen Geistheiler. Vielleicht probieren Sie’s doch mal da …“ Damit macht sich ein solcher Arzt oder eine solche Ärztin nach Ansicht der Skeptiker der Beihilfe zur Scharlatanerie schuldig. Man kann es aber auch anders sehen: Wenn er oder sie es beim Achselzucken belässt, aber weiß, dass viele bei einem solchen „Wunderheiler“ Hilfe gefunden haben (und sei es nur über den vielgescholtenen Placeboeffekt), dann machen sie sich der unterlassen Hilfeleistung schuldig.

Kurz: Eine Medizin, die auf Alternativen verzichtet, ist keine gute Medizin. Wie man die Alternativen einschätzt und bewertet, ist eine andere Sache. Aber eine alternativlose Medizin ist kein Fort- sondern ein Rückschritt. Ersparen wir uns einen solchen.     

Der Placeboeffekt – Eine Heilung zweiter Klasse?

Foto: Hans-Josef Fritschi

Kaum ein Begriff ist mit dem Thema Alternativmedizin so eng verknüpft wie der des Placeboeffekts. Dabei besteht diese Verbindung nicht per se, sie ist vielmehr konstruiert. Wenn die These aufgestellt wird „Globuli sind Placebos“ (wie häufig in den sozialen Netzwerken zu lesen ist), dann ist das weit weg von einem harten wissenschaftlichen Fakt. Für diese Aussage wurde noch nie ein zweifelsfreier Beweis vorgelegt. Der Placeboeffekt kann also nicht als Totschlagargument gegen die Homöopathie (und auch nicht gegen die ganze Alternativmedizin) dienen. Man muss sogar sagen, dass in der derzeitigen Diskussion um Globuli & Co. mit diesem Begriff nicht selten Missbrauch getrieben wird. Die wahre Bedeutung des Placebos wird jedenfalls kaum wahrgenommen und somit auch selten diskutiert.

Der Missbrauch beginnt mit der Gleichsetzung von Placebos mit Unwirksamkeit, indem die Gleichung aufgemacht wird: wirkstofffrei gleich wirkungslos. Daraus wird dann schnell der Fehlschluss: Placebos sind unwirksam – Globuli sind Placebos – also sind Globuli unwirksam. Schon die erste Prämisse wird durch jede kontrollierte Doppelblindstudie widerlegt. In der Placebogruppe ist immer eine Wirkung nachweisbar. Diese kann zwar nach gängiger Auffassung nicht durch das zu prüfende Arzneimittel direkt hervorgerufen worden sein, sie ist aber unbestritten vorhanden und zweifelsfrei statistisch messbar. Somit ist die Aussage „Placebos sind unwirksam“ falsch. Richtig ist vielmehr das Gegenteil: Placebos sind wirksam. Wie diese Wirkung zustande kommt, ist nur in ersten Ansätzen bekannt. Eines macht der Placeboeffekt deutlich: Ein Impuls zur Besserung krankhafter Symptome (oder gar zur Heilung von Krankheiten) kann auch aus dem Patienten selbst kommen. Eigentlich ist der Placeboeffekt lediglich ein sicherer Beleg dafür, dass es so etwas wie Selbstheilungskräfte tatsächlich gibt. Ein Placeboeffekt ist im Grunde genommen eine besondere Art von Selbstheilung. Dass der Organismus sich selbst heilen kann, gilt als unbestritten.

Wenn dem so ist, muss man die Frage stellen, welche Rolle die Selbstheilungskräfte innerhalb der Medizin spielen. Für die Schulmedizin muss man klar feststellen: kaum eine. Sie werden als Phänomene akzeptiert, sind aber in der konkreten therapeutischen Arbeit keine festen Größen, die man ganz spezifisch regulieren, stimulieren oder auf sonst eine Art zu beeinflussen sucht. Es gibt sie. Viel mehr hat die konventionelle Medizin nicht dazu zu sagen. Das ist ziemlich dürftig, wenn man bedenkt, welche zusätzlichen Möglichkeiten sich der Medizin öffneten, gelänge es, die selbstregulierenden Prozesse gezielt und auf wissenschaftlich solider Basis zur Therapie einzusetzen.

Dem Placeboeffekt haftet noch immer das Klischee des Unwirksamen an, was aber gar nicht zutrifft.

Inzwischen haben sich auch Placebo-Forschende in die Diskussion um die Alternativmedizin eingeschaltet. Sie plädieren klar dafür, unkonventionelle Heilverfahren in der Medizin zu belassen. Zwar sehen die meisten von ihnen es so, dass diese Methoden (zumindest zu einem überwiegenden Teil) über den Placeboeffekt wirksam seien, das dürfe aber niemals ein Grund sein, sie aus der Medizin auszugrenzen. Eine solche Forderung zeige nur, dass man die Bedeutung des Placeboeffekts und seinen Beitrag zur Therapie nicht richtig verstanden habe. Dem Placeboeffekt hafte noch immer das Klischee des Unwirksamen an, was aber gar nicht zutreffe. Professor Manfred Schedlowski, Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie an der Universität Essen geht noch einen Schritt weiter, wenn er feststellt, dass die Unterscheidung in Schul- und Alternativmedizin einem Denken von gestern oder vorgestern geschuldet ist. Seiner Meinung nach wäre es jetzt an der Zeit, beide Arten von medizinischen Interventionen zu verbinden.

Nach Auffassung des klinischen Psychologen und Philosophen Professor Harald Walach würden in der modernen Medizin die Placeboeffekte (die ja auch in ihr zum Tragen kommen) bagatellisiert, weil sie nicht ins gängige „Maschinenmodell“ des Menschen passten. Der Placeboeffekt sei heute immer noch eine Art „Schimpfwort“ in der Medizin. Dabei sei er eigentlich (wenn man es genauer betrachte) der Kern und das Rückgrat einer jeden medizinischen Bemühung. Placeboeffekte zeigten eindrucksvoll auf, zu welchen therapeutischen Eigenleistungen der Organismus fähig ist. Spezifische Wirkungen und Placeboeffekte sind nach Walach so eng miteinander verwoben, dass man sie gar nicht trennen könne. Er glaubt, ohne die Fähigkeit zur Selbstheilung wäre keine medizinische Maßnahme so wirksam, wie sie sich im klinischen Alltag darstellt. Es könne durchaus sein, dass der spezifische Effekt von Arzneimitteln auf dem Rücken des Placeboeffekts reite.

Der Placeboeffekt spielt bei den unkonventionellen Heilverfahren sicher eine wichtige Rolle. Das tut er aber bei jeder therapeutischen Intervention. Mit ihm zu arbeiten sollte eigentlich ein Kennzeichen für „gute Medizin“ sein. Wenn eine Heilung über den Placeboeffekt zustande kommt, das ist das gewiss keine Heilung zweiter Klasse.

Corona (leider) first

Leider bestimmt momentan ein einziges Thema die Diskussion. Deshalb wird sich auch der erste Eintrag auf diesem Blog mit Corona beschäftigen (müssen …):

Vertrauen und Widerstand – Humanitätsrelevanz in Zeiten der Coronakrise

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Dieses Virus hat das Potenzial, unsere Welt auf den Kopf zu stellen. Und das hat es ja inzwischen auch gründlich getan. Aber nicht aus eigenem Antrieb. SARS-CoV-2 besitzt „nur“ die Fähigkeit, sich auf der ganzen Welt auszubreiten, viele Menschen krank zu machen und einige der Infizierten zu töten. Wenn die Welt jetzt Kopf steht – von Australien bis Kanada, von Brasilien bis Japan, dann aufgrund unserer Reaktionen auf das Virus. Die weltweite Coronakrise hat nicht das Virus selbst ausgelöst, das waren wir mit unseren Abwehrmaßnahmen. Der weltumspannende Lockdown ist menschengemacht. Wir hätten das Virus auch ignorieren können (etwa nach dem Beispiel Weißrusslands) oder auf Herdenimmunität setzen (wie es Schweden versuchte). Die weit überwiegende Zahl der fast 200 von COVID-19 betroffenen Länder hat anders gehandelt. Sie haben das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben rigoros zurückgefahren. Inzwischen wird heftig diskutiert, wie sinnvoll ein solches Vorgehen ist – und die Diskussion wird noch an Heftigkeit zunehmen, wenn die Pandemie vorüber ist und man genau erkennen kann, in welchem Zustand sich die Welt dann befindet.

Man kann sagen: Die Menschheit stellt das Leben und die Gesundheit über alles, und ist dafür scheinbar bereit, eine insgesamt recht florierende Weltwirtschaft ins Chaos zu stürzen, im Vertrauen darauf: „Wiederaufbau? Wir schaffen das!“ Manche halten das für Wahnsinn. Kapitalismusfetischisten wie Trump oder Bolsonaro etwa. Doch ihr „economy first“ ist plötzlich eine Minderheitenmeinung. So ziemlich alle sind sich nun einig, dass Gesundheit und Menschenleben vor dem Geld zu stehen haben. Hätte jemand zu Jahresbeginn gedacht, dass es innerhalb kürzester Zeit eine solche Verschiebung der Prioritäten geben wird – und das weltweit? Eigentlich sollte man die momentane Entwicklung dafür dankbar bejubeln. Doch von Jubel ist nichts zu sehen und nichts zu hören. Im Gegenteil: Es ist zunehmend von Widerstand und gar Aufstand die Rede. Niemand ist für neue Einsichten dankbar. Alle haben Angst. Wenn nicht vor dem Virus, dann vor dem Gespenst des totalitären Polizeistaats.

Ist ein Staatsstreich im Gange?

Man muss nicht Trump oder Bolsonaro heißen, um den globalen Lockdown-Szenarien während dieser Pandemie kritisch bis ablehnend gegenüberzustehen. Es genügt, ein wacher Bürger und eine kritische Bürgerin zu sein, um zu erkennen, dass die eingeleiteten Maßnahmen teilweise gravierend in die Freiheitsrechte eingreifen. Das ruft inzwischen immer mehr mahnende Stimmen auf den Plan, die hier eine ernste Gefahr für die Demokratie sehen. Sie glauben, der Staat gehe zu weit und müsse in seine Schranken gewiesen werden. Einige scheinen es ganz genau zu wissen: Das neuartige Corona-Virus sei eigentlich harmlos, nicht gefährlicher als eine gewöhnliche Grippe. Die Corona-Pandemie sei inszeniert. Sie soll zu einem Staatsstreich führen, an dessen Ende eine Diktatur stehe. Manche sehen uns schon vor einer Art Machtergreifung wie während der Nazi-Herrschaft. Sie sehen ein neues Drittes Reich im Entstehen und rufen alle besorgten Bürger dazu auf, dagegen Widerstand zu leisten. Was ist davon zu halten? Ist der Staatsstreich schon voll im Gange, und wachen wir demnächst in einem totalitären und faschistischen Polizeistaat auf?

Nein, das glaube ich nicht. Der Widerstand, der sich nun allerorten formiert, hat das falsche Ziel ins Visier genommen. Der prophezeite Unrechtsstaat, der just jetzt während der Coronakrise etabliert werden soll, ist ein Phantom. Nur wenige Demokratien sind so gefestigt wie Deutschland. Die Gewaltenteilung funktioniert. Die Gerichte weisen die Politik gerade jetzt bei den Grundrechtseinschränkungen immer deutlicher in die Schranken. Da sieht es bei manchen unserer Nachbarn ganz anders aus: Polen hat seine Gerichte gleichgeschaltet und in Ungarn hat Viktor Orbán die Arbeit des Parlaments für unbestimmte Zeit außer Kraft gesetzt. Das heißt nicht, dass bei uns alles gut ist. Bei weitem nicht. Kritik und Widerstand sind wichtig. Aber sie sollten auf das zielen, was tatsächlich eine unkontrollierbare Bedrohung ist. Merkel, Spahn und Söder werden von etwas ganz anderem getrieben als von der Machtgier, sich ihre persönliche Diktatur zu etablieren. Wenn man etwas intensiver über das Thema Corona nachdenkt, erkennt man auch, was das ist.    

Seuchen als kollektives Menschheits-Trauma

Warum verhalten sich während dieser Pandemie an die 200 betroffene Staaten fast einheitlich und fahren ihr gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben bis über die Schmerzgrenze hinaus herunter? Wollen sie alle einen totalitären Staat errichten und die Demokratie abschaffen? Oder agieren sie nach dem Motto: Gesundheit und Leben gehen uneingeschränkt vor? Es mag für einige zwar naiv klingen, aber für mich ist Letzteres eindeutig plausibler. Für diese Ansicht gibt es meines Erachtens gute Gründe. Seuchen haben im Laufe der Geschichte Millionen von Menschen dahingerafft. Bisweilen haben sie apokalyptische Formen angenommen. Wohl wenige Ereignisse mit einem derartigen Gefahrenpotenzial für das Leben eines jeden einzelnen Menschen haben sich so tief in das kollektive Gedächtnis der Menschheit eingeprägt wie die Seuchen. Seuchen zeigen dem Menschen seine Machtlosigkeit schonungslos auf: Der Tod kann wie ein Tsunami über ganze Länder kommen. Pandemien und Machtlosigkeit gehören zusammen. Hätten wir Macht über ein Virus, könnte es nicht zur Seuche werden. Und in dieser Situation der Machtlosigkeit befinden wir uns in der jetzigen Corona-Pandemie genauso wie zu Zeiten der Pest im Mittelalter. Wir wissen zwar heute sehr viel mehr um die Zusammenhänge, es fehlt uns aber an den zentralen Schutzmechanismen: Wir haben keinen Impfstoff und wir haben keine spezifisch wirksamen Medikamente. Es bleibt uns daher nichts anderes, als das, was die Menschen während früherer Seuchen auch taten: dem Virus so gut es geht auszuweichen.

„Wohl wenige Ereignisse mit einem derartigen Gefahrenpotenzial für das Leben eines jeden einzelnen Menschen haben sich so tief in das kollektive Gedächtnis der Menschheit eingeprägt wie die Seuchen.“

Diese Zusammenhänge werden von den heutigen „Faschismus-ante-portas-Rufern“ oft übersehen. Ich will mich an dem Streit gar nicht beteiligen, welche Wissenschaftler nun wirklich recht haben, ob die Drosten-Fraktion oder die Wodrag-Fraktion. Alle präsentieren sie uns ihre Erkenntnisse doch so, dass wir Laien letztlich sagen müssen: Ja, recht hat er. Stimmt, was sie sagt. Und wenn wir das dann in digitalen Endlosschleifen tagtäglich mit passendem Update versehen serviert bekommen, glauben wir eben denen, die uns mehr überzeugen. Ob die, die uns überzeugen, aber auch richtig liegen, können wir gar nicht wissen. Aber wir glauben es zumindest. Das ist ja auch schon was.

Es ist eine allgemein menschliche Erfahrung, dass wir alle lieber jenen Glauben schenken, die unsere eigene Meinung bestärken. Wir lieben unsere Filterblasen über alles, weil sie uns Sicherheit geben. Wir alle leben in unseren Echokammern, auch jene, die alles für richtig halten, was eine besorgte Frau Merkel und ein beherzter Herr Söder tun, und die in der Bundeskanzlerin die große beschützende Mutter und im bayerischen Ministerpräsidenten den neuen St. Georg sehen, der den Corona-Drachen zur Strecke bringt.

Freiheit, Freiheit über alles?

Die Maßnahmen schränken wichtige Grundrechte ein oder setzen sie sogar zeitweise außer Kraft. Weltweit ist das so. In manchen europäischen Nachbarländern sind die Eingriffe noch viel einschneidender als in Deutschland. Den Wenigsten scheint bewusst zu sein: Die Einschränkungen der Grundrechte haben ihren Ursprung in ihnen selbst. Grundrechte sind keinesfalls absolut, sie dürfen eingeschränkt werden – müssen es sogar in Fällen, in denen sonst dem Staat und seinen Bürgern eine Gefahr droht, die ohne eine solche Einschränkung nicht abgewehrt werden kann. Dies ergibt sich aus der UN-Menschenrechtscharta von 1948. Das bedeutet auch, dass es ethisch geboten ist, dass Menschen zeitweise auf bestimmte Grundrechte verzichten, wenn dies dem Schutz der Gemeinschaft oder dem besonders Gefährdeter dient. So gesehen kann die Einschränkung von Grundrechten auch als humanitärer Akt verstanden werden: Man verzichtet auf eigene Rechte, um damit andere schützen zu können.

„Grundrechte sind keinesfalls absolut, sie dürfen eingeschränkt werden – müssen es sogar in Fällen, in denen sonst dem Staat und seinen Bürgern eine Gefahr droht, die ohne eine solche Einschränkung nicht abgewehrt werden kann. Dies ergibt sich aus der UN-Menschenrechtscharta von 1948.“

Man muss aber sehr wachsam sein: Bei so gravierenden Eingriffen in die Grundrechte, wie wir sie in der Corona-Pandemie erleben, muss die Verhältnismäßigkeit gegeben sein. Darüber lässt sich nun diskutieren – und darüber sollte auch gestritten werden. Es muss klar erkennbar sein, dass die Verhältnismäßigkeit regelmäßig und unabhängig überprüft wird und die Regierung das klare Ziel hat, die Einschränkungen, sobald es die Lage zulässt, wieder aufzuheben. Eine Diskussion um die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen muss geführt werden und darf nicht unterdrückt werden. Alles andere wäre ein Zeichen von Staatshörigkeit. Richtig ist auch, dass in der Krisenbewältigung von staatlicher Seite nicht alles zum Besten gelaufen ist. Gerade bei der Abwägung der Verhältnismäßigkeit der Mittel und Maßnahmen. Gewiss auch nicht beim Umgang mit Zahlen und Daten. Möglicherweise werden sich Virologen, Epidemiologen und Politiker sehr unangenehme Fragen stellen müssen, wenn man einmal absehen kann, wie gravierend die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kollateralschäden der Pandemie wirklich sind. Das Gleiche gilt für die Medien, die während dieser Krise den Vorwurf der „Lügenpresse“ nicht im Geringsten entkräften konnten – eher im Gegenteil. Es müssen ganz grundsätzliche Fragen gestellt werden zum Gesundheitswesen und allen, die an diesem verdienen oder nach der Krise Einfluss auf es gewinnen wollen. Es müssen Fragen gestellt werden zum Umgang der Medizin mit dem Thema Krankheit. Die Frage muss geklärt werden, welche Medizin wir in Zukunft wollen und was für den erkrankten Menschen als ganzheitliches Wesen tatsächlich gut und richtig ist.  All das muss angesprochen und aufgeklärt werden. Aber erst dann, wenn wirklich alle Fakten auf dem Tisch liegen. Und das tun sie heute noch lange nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass man dann den Wodrags, Schiffmanns und Bhakdis in Manchem recht geben muss. Vielleicht erkennt man dann aber auch, dass es um ein Vielfaches schlimmer geworden wäre, hätte man auf sie gehört. Ich habe keine Glaskugel, um zu sehen, wie die Welt im Frühjahr 2021 aussehen wird. Deshalb beteilige ich mich auch nicht an dieser Diskussion. Von entscheidender Bedeutung aber ist: Die Diskussion um das Für und Wider der Corona-Schutzmaßnahmen sollte auf Basis einer nüchternen Wachsamkeit geführt werden.

Von wo die wahre Bedrohung kommt

Sind die gewiss tiefgreifenden Maßnahmen zum Eindämmen der Pandemie also tatsächlich eine gezielt gesteuerte Panikmache, um uns in eine Diktatur zu führen? Wenn es eine Panikmache ist, dann ist sie aus einer irrationalen Angst vor dem schwarzen Tod heraus entstanden, einer Ur-Angst, die noch tief in unser aller Psyche steckt, auch in der von Virologen und Politikern. Und dann sind auch diese nicht vor irrationalem Handeln gefeit. 

Unsere Politiker werden nicht von Machtgeilheit zerfleischt. Da gibt es andere, denen man so etwas eher zutrauen sollte. Diese wohnen nicht im Bundestag oder im Kanzleramt. Sie leben in Amerika. Sie haben uns unsere Freiheit schon längt genommen und durch von ihnen geschaffene Pseudo-Freiheiten ersetzt. Ich meine die riesigen Digitalimperien, die, kaum ein paar Jahrzehnte alt, bereits die ganze Welt beherrschen. Im Gegensatz zu den Freiheiten, die wir (meist freiwillig) an diese schon abgetreten haben, erscheinen die Corona-Einschränkungen fast wie Peanuts. Wir alle sind inzwischen von ihnen abhängig und haben keine Chance, diesen Fesseln zu entrinnen. Wenn diesen Text als Video ins Netz hochlade (Link unten), unterwerfe ich mich zwangsweise diesen Fesseln. Die Büchse der Pandora ist geöffnet, und niemand hat die Macht, die Geister mehr zu bannen.

Unsere Abhängigkeit vom Internet hat fast schon pseudo-religiöse Züge angenommen. Unser Morgengebet ist das Lesen des Morgen-Briefings auf Spiegel-Online und unser Gute-Nacht-Gebet das letzte Checken des WhatsApp-Acounts. Das Gebetsbuch ist unser Smartphone oder unser Tablet. Der Himmel unseres Gottes heißt Silicon Valley. Und dort wohnt ein wahrhaft dreifaltiger Gott: Gott Google, Gott Facebook und Gott Apple. Um seinen Thron steht die ganze Heerschaar der Erzengel: Gates Microsoft, Musk Tesla, Bezos Amazon und wie sie alle heißen. Aber so viele sind es gar nicht. Macht und Menge müssen nicht voneinander abhängig sein.

Seit es das Internet gibt, gibt es zwei Klassen: Jene, die das Netz beherrschen, und jene, die das Netz beherrscht. Auf der einen Seite gibt es nur ein paar Handvoll Menschen, aber mit viel, viel Macht und mit viel, viel Geld. Auf der anderen Seite stehen die 99,99 Prozent der übrigen Menschen. Sie können von den Wenigen beherrscht werden, weil sie von diesen das Gefühl bekommen, frei und mächtig zu sein. Zu ihnen gehören Angela Merkel und die Putzfrau bei Lidl, Donald Trump und die pubertierende YouTuberin mit ihren nervenden Videos, zu ihnen gehören der Papst und der freischaffende Musiker, die Verfassungsrichterin und der Installateur, der gerade eine neue Wasserleitung verlegt, kurz: zu ihnen gehören du und ich. In der Welt der globalen digitalen Vernetzung sind wir keine freien Menschen mehr. Das Tragische dabei ist: Wir meinen das aber, weil man es uns suggeriert.

„Unsere Abhängigkeit vom Internet hat fast schon pseudo-religiöse Züge angenommen. Unser Morgengebet ist das Lesen des Morgen-Briefings auf Spiegel-Online und unser Gute-Nacht-Gebet das letzte Checken des WhatsApp-Acounts. Das Gebetsbuch ist unser Smartphone oder unser Tablet.“

Inzwischen wissen wir, wer von der Coronakrise am meisten profitiert hat: eben diese Digitalimperien aus dem schönen Kalifornien. Bei allen ist der Umsatz deutlich gestiegen. Aber das ist gar nicht das Entscheidende. Macht geht vor Geld. Durch die Coronakrise haben wir alle gelernt: analog ist out, ohne digital geht nichts. Die Nutzung des Internets ist während der Krise rasant gestiegen. Und so wird es auch danach bleiben. Überall hört man nur das Lob der neuen Digitalität, im Beruflichen wie im Privaten: Warum müssen wir heute denn zur Oma fahren? Sie kann doch jetzt Skype. Widerstand? Wie denn? Wie leicht lässt sich für den Schutz des Grundgesetzes ein Pappschild beschriften und für ein, zwei Stunden durch die abstandhaltende Menge tragen. Wer aber widersetzt sich dem Setzen des obligatorischen Häkchens, wenn es auf dem Display oder Monitor heißt: „Zur Nutzung des Programms müssen Sie die Lizenzvereinbarung akzeptieren“?

Widerstand und Humanitätsrelevanz

Wir alle haben seit kurzem einen neuen Begriff in unserem Wortschatz: systemrelevant. Als systemrelevant gelten all jene Berufe, die die Grundpfeiler unserer Gesellschaft aufrechterhalten: von der Pflegerin bis zur Verkäuferin, vom Arzt bis zum LKW-Fahrer. Sie braucht es, wenn das System funktionieren soll. Ohne Zweifel: Die Coronakrise bedroht unser System. Aber noch etwas anderem droht Gefahr: dem Humanen in uns, der Fähigkeit, aus humanitärem Empfinden und daraus abgeleiteten Werten zu handeln.

„Abstraktes lässt sich digitalisieren, Humanes nicht. Menschenliebe, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft, Solidarität, Würde, Mitgefühl, Liebe – all das entzieht sich einer Verdigitalisierung.“

Nach der Coronakrise wird das Digitale unser Leben immer mehr bestimmen. Das muss nicht grundsätzlich schlecht sein. Es bringt gewisse Vorteile mit sich, hat aber auch Nachteile. Und diese Nachteile können tiefgreifende Wirkungen haben, wenn Digitales in Bereiche vordringt, wo es nichts zu suchen hat und wo es Dinge verdrängt, die wir unter dem Begriff des Humanen zusammenfassen. Wenn es um Humanes geht, spielt das Zwischenmenschliche eine entscheidende Rolle. Ohne, dass es zwischen Menschen eine direkte Beziehung gibt, ist Humanität nur eine abstrakte Floskel. Abstraktes lässt sich digitalisieren, Humanes nicht. Menschenliebe, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft, Solidarität, Würde, Mitgefühl, Liebe – all das entzieht sich einer Verdigitalisierung. Dennoch wird von den Protagonisten der schönen, neuen Digitalwelt versucht, auch hier Fuß zu fassen: Corona hat doch gezeigt, dass Vieles auch anders geht – eben digital.

Sollten wir nicht in erster Linie hier an Widerstand denken? Aber wie machen wir das? Sind wir nicht auch hier schon Gefangene, die nicht anders können, als im vorgegebenen Gleis zu fahren? Nein, das sind wir nicht –  noch nicht, solange wir gegen den digitalen Zugriff auf das Humane in uns sozusagen eine Firewall aufbauen. Machen wir einfach das Spiel nicht mit, auch wenn man uns einredet, das sei alles zu unserem Nutzen und quasi alternativlos. Hier reichen keine Schilder, die man mal eben hochhalten kann. Hier muss man sich verweigern.

Systeme sind für unser Leben von großer Bedeutung, seien sie in der Gesellschaft, der Wirtschaft oder im Gesundheitswesen. Noch über diesen Systemen steht aber die Humanität. Humanität ist die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben. Wenn wir das, was Systeme aufrechterhält, heute als relevant bezeichnen, dann muss es auch etwas geben was für Humanität relevant ist.

  • Sich in andere hineinversetzen können ist humanitätsrelevant.
  • Anderen zuhören können ist humanitätsrelevant.
  • Verzeihen können ist humanitätsrelevant.
  • Eigene Ansprüche zurückstellen können ist humanitätsrelevant.
  • Sich bedingungslos lieben können ist humanitätsrelevant.
  • Anderen ihre persönlichen Überzeugungen zugestehen können ist humanitätsrelevant.
  • Kultiviert diskutieren und streiten können ist humanitätsrelevant.

Widerstand ist überall dort notwendig, wo man versucht, hier zu relativieren und die Probleme, die es im Humanen gibt, auf digitale Weise und mit Hilfe von künstlicher Intelligenz lösen will. Humanitätsrelevantes muss human, also menschlich bleiben. Gerade in Bereichen, wo das Zwischenmenschliche unabdingbar ist (sei es in Erziehung, Bildung, Pflege), darf es keine Kompromisse geben. Und vor allem nicht in der Medizin. Denn der Mensch ist des Menschen beste Medizin, und keine von irgendjemandem kontrollierte Gesundheits-App.  

Wenn wir dem Humanitätsrelevanten in uns und in unserer Gesellschaft jetzt ganz bewusst den Raum geben, den es immer mehr zu verlieren droht, dann arbeiten wir alle gemeinsam daran, dass diese Krise ein gutes Ende nehmen kann. 

Diesen Beitrag als Video ansehen und anhören:

https://www.youtube.com/watch?v=R9dlb3C3keE