Du sollst keine anderen Wissenschaften neben mir haben

Wird der Radikal-Szientismus zur Religion der Post-Covid-Ära?

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Virologe Christian Drosten war begeistert und verlinkte den Beitrag in den sozialen Netzwerken. Auch Karl Lauterbach äußerte sich zustimmend. Die ZEIT hatte wieder einmal einen „richtig guten“ Beitrag veröffentlicht. Dieser stammte von Gastautor Ralf Bönt, und er war mit dem imperativen Titel: „Die Wahrheit ist nicht relativ“ überschrieben. Im Text ging es um die Wissenschaft und ihre Feinde. Und die Macht, die eindeutig auf Seiten ersterer zu sein habe: Wissen ist Macht. Und Macht müsse im Gefahrenfall dafür eingesetzt werden, Feinde in ihre Schranken zu weisen. Das ist jetzt natürlich sehr verkürzt wiedergegeben, was Ralf Bönt in seinem Aufsatz sagte. Aus einer Metaebene betrachtet könnte man sagen: Der Autor verfasste ein Loblied auf die Wissenschaft mit dezidierter Betonung auf die Wissenschaft. Denn seiner Meinung nach gebe es nur eine einzige Wissenschaft. Das sei die Naturwissenschaft. Sie sei die einzig verlässliche Grundlage jeder Welterkenntnis. Andere Wissenschaften hätten nur dann ein Recht beachtet und gehört zu werden, wenn sie sich dem Primat der Naturwissenschaften unterordnen. Täten sie es nicht, müssten sie sich den Vorwurf der Wissenschaftsfeindlichkeit gefallen lassen. Und Feinden müsse man sich entgegenstellen und sie letztlich besiegen. Mit Macht. Bönt  führt dabei den Schöpfer des Wissen-ist-Macht-Imperativs Francis Bacon an: „Man besiegt die Natur, indem man ihren Gesetzen gehorcht.“

Wenn im Streit um die Wissenschaften mit Begriffen wie Gesetz und Wahrheit der Naturwissenschaft argumentativ Beistand geleistet wird, sollte man hellhörig werden.

„Indem man auf die Gesetze horcht“ bedeutet für Bönt, die Naturgesetze als letzte Wahrheit kompromisslos anzuerkennen. Für ihn sind sie nicht zu diskutierende Grundlage einer „Lehre von der Wahrheit“, wie er es formuliert. Da Wahrheit nicht relativ sei, könne es auch keine zwei Wahrheiten geben. Daraus zieht Bönt  den Schluss: Es gibt nur eine Wissenschaft. Und das ist die Naturwissenschaft. Dem könnte man zustimmen, würden die Naturgesetze tatsächlich letztgültige Wahrheiten abbilden. Dem ist aber nicht so, wie jeder Wissenschaftstheoretiker weiß. Naturgesetze gelten zwar universell, aber nur unter bestimmten Bedingungen. Bönt  aber ist es wichtig, die Verknüpfung von Gesetz und Wahrheit zu postulieren. Wenn im Streit um die Wissenschaften mit Begriffen wie Gesetz und Wahrheit der Naturwissenschaft argumentativ Beistand geleistet wird, sollte man jedoch hellhörig werden.

Gesetze und Wahrheiten gehören weniger in den Bereich der Wissenschaften als in jenen des Religiösen, speziell der abrahamitisch-monotheistischen Religionen. Damit sollen physikalische Gesetze nicht relativiert werden. Sie gelten selbstverständlich – in jenem Teil der Wirklichkeit, für den die Physik zuständig ist. Indem Ralf Bönt  in seinem Artikel allerdings großen Wert auf Naturgesetze und Wahrheiten legt, um die Deutungshoheit der Naturwissenschaft im Diskurs zu verdeutlichen, verlässt er den rein wissenschaftlichen Boden und taumelt unversehens in Richtung des verminte Feldes des Ideologischen. Sicher, für seine Sicht der Dinge gibt es in der Wissenschaftstheorie eine Grundlage, den Szientismus. Dieser aber ist in seiner radikalen Ausprägung nichts weiter als eine in Wissenschaftlichkeit gehüllte Ideologie, eine rationalistische Pseudo-Religion mit dogmatischem Unterbau.

Der Radikal-Szientismus verengt den Begriff Wissenschaft ausschließlich auf die Naturwissenschaft und behauptet, andere Wissenschaften wären dieser untergeordnet. Letztlich hätten diese nur eine Existenzberechtigung, wenn sie sich in das von der Naturwissenschaft vorgegebene Koordinatensystem eingliedern würden.

Szientismus besagt, dass man die Wirklichkeit nur mit wissenschaftlichen Methoden erfassen kann. Was sich nicht mit Mitteln der Wissenschaft erklären lässt, ist für Szientisten (Selbst)Täuschung oder es existiert schlicht nicht. Nun ist diese Ansicht an sich nicht grundsätzlich zu kritisieren, wenn man die Definition von Wissenschaft in einem universellen Licht betrachtet. Der Radikal-Szientismus verengt den Begriff Wissenschaft jedoch ausschließlich auf die Naturwissenschaft und behauptet, andere Wissenschaften wären dieser untergeordnet. Letztlich hätten diese nur eine Existenzberechtigung, wenn sie sich in das von der Naturwissenschaft vorgegebene Koordinatensystem eingliedern würden. In der aktuellen Corona-Debatte stößt sich Bönt vor allem an Vertretern und Vertreterinnen der Geisteswissenschaften, wenn sie sich hier zu Wort melden. Er nennt sie unumwunden spöttisch „Großdenker anderer Disziplinen“ und meint vor allem Philosophen und Historiker. Diese sind natürlich keine Experten für Virologie oder Epidemiologie, sollten sich aber durchaus zu Wort melden dürfen. Schließlich ist die Corona-Krise kein isoliert virologisches Geschehen. Das scheint Bönt anders zu sehen und sähe es lieber, solche Leute hielten den Mund und ließen nur Experten der Fachgebiete reden. Sie hätten die Fakten und damit die Wahrheit in Sachen Corona.  

Nun ist ein wichtiges Kennzeichen aller Wissenschaftlichkeit, dass sie das Erkannte grundsätzlich als vorläufig ansieht. Somit gehört zu ihr das Wesensmerkmal, sich irren zu können, falsch zu liegen und sich korrigieren zu müssen. Das gilt aber nicht nur für das durch wissenschaftliche Methoden Erkannte, es gilt auch für die wissenschaftlichen Methoden des Erkenntnisgewinns selbst. Diesen Aspekt aber lehnt der Radikal-Szientismus ab. Für ihn ist die Herrschaft der Naturwissenschaft auch in diesem Bereich nicht verhandelbar: Nur Naturwissenschaft bietet die Möglichkeit, verlässliches Wissen zu generieren, so das Credo. Da diese Auffassung im Radikal-Szientismus dogmatischen Charakter hat (man sich hierin per se also nicht irren kann), stehen Radikal-Szientisten im Grunde genommen außerhalb der Wissenschaft, während sie sich gleichzeitig als die wahren Hüter der Wissenschaft bezeichnen.

Der Radikal-Szientismus sieht sich als eine reine Lehre auf Basis physikalistischer, reduktionistischer und naturalistischer Prämissen, die es gegen irrationale Einflüsse jeder Art zu verteidigen gelte.

Sicher: Der Schriftsteller und Physiker Ralf Bönt eignet sich nicht unbedingt als Gallionsfigur für radikal-szientistische Kreuzzüge. Zwar plädiert er für die Vorherrschaft des rationalen Denkens über das religiöse Glauben in mythischen Ebenen – zumindest wenn es um Welterkenntnis geht. Aber er möchte sich an keinen Glaubenskriegen beteiligen und bekennt sich zu einer friedlichen Koexistenz. Auch mahnt er, nicht leichtfertig in atheistische Reflexe zu verfallen und Religion mit Kirche gleichzusetzen. Vielleicht sieht er es als erstrebenswert an (so zumindest die Vermutung), dass sich das Religiöse transformiert, indem es sich zurücknimmt im Anspruch, die Welt vom Mikroskopischen bis zum Makroskopischen und vom Geistigen bis zum Materiellen vollständig erklären zu wollen. Was man aber hier vom Religiösen verlangt, muss man zwangsläufig auch vom Rationalen verlangen, sonst wird Wissenschaft zum bloßen Religionsersatz. Der Radikal-Szientismus sieht sich als eine reine Lehre auf Basis physikalistischer, reduktionistischer und naturalistischer Prämissen, die es gegen irrationale Einflüsse jeder Art zu verteidigen gelte. Damit ist er nicht weit weg vom „Extra ecclesiam nulla salus“ (Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil) der römischen Machtkirche und dem „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ des mosaischen Gesetzes. Doch was hat das mit der Corona-Pandemie zu tun?

Die Corona-Pandemie wird gravierende Folgen haben, nicht nur was die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kollateralschäden angeht. Sie wird auch Folgen für unser Weltverständnis, unser Natur- und Menschenbild haben. Hauptgrund dafür wird die rasante Entwicklung in biotechnologischen Bereichen sein, die sich schon während der Pandemie wahrnehmen lässt. Ralf Bönt hat das in seinem Artikel gut erkannt: Gentechnik, Digitalisierung, künstliche Intelligenz etc. dürften eine „große Revolution“ ankündigen, die alle Reste eines überkommenen postmodernen Relativismus über Bord werfen wird. „Wissenschaftsfeinde“ werden im öffentlichen und politischen Diskurs kein Recht mehr einfordern können, gehört zu werden. Bönt zieht den Vergleich zur Spanischen Grippe, nach der sich Vieles grundlegend änderte: „Eine beinahe ungezügelte Erneuerung in Wissenschaft, Kunst und Politik folgte“. Die Frage, die sich manche in Anbetracht dessen nun aber stellen, ist die, wie eine Erneuerung der Wissenschaft in der Post-Covid-Ära aussehen wird, wenn sie ungezügelt ablaufen wird.  

Die Corona-Krise zeigte einmal mehr, wie erfolgreich dieses Modell in der Tat ist, vor allem durch die rasante Entwicklung von Impfstoffen mittels neuester genmanipulativer Technologien. Dies wird dazu verleiten, die Vormachtstellung der Naturwissenschaft noch mehr zu festigen. Das hat dann aber auch zur Folge, dass radikal-szientistische Thesen immer hoffähiger werden.

Wir sehen derzeit einen grandiosen Siegeszug von Technologien, die erstmals in der Geschichte das Leben und den Menschen bis in die kleinsten Einheiten hinein lenken und steuern können. Am Ende dieser Entwicklung steht die Verschmelzung des Menschen mit dem Maschinellen (Transhumanismus), was schließlich zur Überwindung des Menschen durch die Maschine selbst führen soll (Posthumanismus). Das ist nur möglich auf Basis einer Ideologie, die die ganze Natur als Maschine betrachtet. In diesem Sinne ist die gegenwärtige Entwicklung ein Höhepunkt des von Descartes im 17. Jahrhundert angestoßenen und von La Mettrie ausgeformten Maschinenmodells der Natur. Dieses Welt- und Menschenbild prägt auch die moderne Wissenschaft – und das aus gutem Grund, ist es doch extrem erfolgreich. Die Frage ist nur, ob das, was sich als erfolgreich zeigt, gleichzeitig auch wahr und wirklich gut ist, und vor allem für wen. Erfolgreich ist es eigentlich nur aus Menschensicht. Denn in ihm gilt das Gebot „Human first“. Den Preis für den Erfolg zahlt für gewöhnlich die Natur.    

Aber es ist nicht zu übersehen: Die Corona-Krise zeigte einmal mehr, wie erfolgreich dieses Modell in der Tat ist, vor allem durch die rasante Entwicklung von Impfstoffen mittels neuester genmanipulativer Technologien. Dies wird dazu verleiten, die Vormachtstellung der Naturwissenschaft noch mehr zu festigen. Das hat dann aber auch zur Folge, dass radikal-szientistische Thesen immer hoffähiger werden. Man wird künftig gerne radikal-szientistisch argumentieren und aus dieser Ideologie Handlungsanweisungen ableiten. Zumal andere Wissenschaften sich wohl nicht bedingungslos der eingeforderten Hegemonie beugen werden. Womöglich droht ein „Krieg der Wissenschaften“, eine Fortführung des ewigen Streits zwischen Idealismus und Materialismus, den die Geisteswissenschaft im offenen Kampf wohl nicht gewinnen kann, da ein solcher nur über Sieg oder Niederlage zu entscheiden ist. Gibt es in diesem Diskurs aber Sieger und Verlierer, so ist niemandem geholfen.

Sollte der Radikal-Szientismus sich aber durchsetzen und mit seinem pseudo-religiösen Anspruch zur dominanten Ideologie des 21. Jahrhunderts werden, dann dürfte er wohl nicht sehr lange existieren. Wie bei Pflanzen häufig zu beobachten, kommt vor dem Tod ein letztes großes Erblühen. Warum vieles dafür spricht, erklärt wieder Francis Bacon, den Ralf Bönt als Gewährsmann anführt. Dieser spricht explizit vom Sieg über die Natur als Ziel allen menschlichen Forschens. Eine Wissenschaft, die dieses Ziel als Grundlage hat, muss scheitern. Wenn wir den Zustand des Planeten Erde betrachten, dann können wir dieses Scheitern vor unser aller Augen erkennen. Alle jetzigen und künftigen ökologischen Katastrophen sind letztlich eine Folge eines Weltbildes, das die Natur ausschließlich als zu bekämpfende Gefahr ansieht. Und selbstredend als ein Ding, das zum eigenen Wohl ausgebeutet und geplündert werden kann. Eine Wissenschaft, die in dem alttestamentarischen Paradigma des „Macht euch die Erde untertan“ gefangen ist, wird die bedrohte Erde nicht retten können. Niemand macht den Bock zum Gärtner.

Keine Frage: Vor der drohenden Apokalypse wird uns nur die Wissenschaft retten können. Eine Wissenschaft, die auf Fakten basiert, in der keine Meinungen beliebig zu Fakten konstruiert werden dürfen und die die Ratio zur Grundlage hat. Aber die auch durch eine Vielfalt der Denkgebäude geprägt sein muss, die Wahrheitsansprüche für ihre Erkenntnisse ablehnt und sich jeder ideologischen Verbiegung entgegenstellt. Wir brauchen dringend eine Wissenschaft, die Universalgelehrte wie Alexander von Humboldt hervorbringen kann, der sagte: „Die Natur muß gefühlt werden, wer nur sieht und abstrahirt … wird die Natur zu beschreiben glauben, ihr selbst aber ewig fremd sein.“ Dem Radikal-Szientismus ist dieses Fremdsein eigen, deshalb kann er keine Zukunft haben. Es sei denn, er baut sich eine eigene Natur, die von allem Lebendigen radikal befreit ist. Eines scheint sicher: Daran wird schon eifrig gearbeitet.   

Ralf Bönt: Die Wissenschaft ist nicht relativ, ZEITonline, 2. Mai 2021 https://www.zeit.de/kultur/2021-04/wissenschaft-corona-politik-massnahmen-expertise-naturwissenschaften-forschung

Von Denkallergien und anderen intellektuellen Flatulenzen

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Unter Schädel- und Bauchdecke verbergen sich Ähnlichkeiten. Hier die Schlingen, denen unser Denken entspringt, dort jene, die für das Verdauen zuständig sind. Hirn und Darm (zumindest der dünne) sehen sich verblüffend ähnlich. Inzwischen weiß man, dass sie auch nerval verdammt gut vernetzt sind. Im Ausscheiden sind sie ebenfalls verwandt. Sie sondern beständig etwas ab. Da Gedanken, dort Exkremente. Ob die sich auch ähneln, hängt von der Person ab, denen Hirn und Darm gehören. Damit kommen wir zur Sache.

Arno Frank ist Korrespondent für Inneres bei der taz, jener Zeitung mit Tatze und Identitätskrise. Letzterer ist es wohl geschuldet, dass Herr Frank sich Gedanken über die Verknüpfungen der Bio-Szene mit den Corona-Verschwörungsanhängern machte. In einem langen Artikel sinnierte er über die Frage, ob Bio wirr mache. Mit wirr meint Herr Frank Meisen. Nicht reale, nein, vielmehr solche, die man hat, wenn man dummes Zeug denkt oder tut. So wie die Verschwörungsanhänger, die Bill Gates als Wiedergeburt Satans und Angela Merkel als dessen willige Marionette betrachten. So, wie der Ober-Veganer Attila Hildmann oder der Rapunzel-Chef Joseph Wilhelm, der seine Naturkost mit braungetünchten Verschwörungsflausen garniert unters grün-alternativ-ökologisch-homöopathische Volk bringen möchte. Oder so, wie die „durchgeknallte“ Riege der Impfgegner. So, wie die völkisch Nationalen, die Natur als Blut und Scholle definieren. Bio-Nazis eben. Herr Frank hat sich einen großen Topf besorgt, in den er alles werfen kann. Differenzieren ist nicht so seine Sache. Stört wohl auch den rundumschlagenden Schreibfluss.

Die Ökos, Bios, Homöos und Faschos sind aus ein und demselben Sumpf gekrochen . Wer ganzheitlich denkt, ist auch ein Freund von Brauntönen aller Art.

Dazu berechtigt sieht er sich durch gewisse „wissenschaftliche Erkenntnisse“, die Ökos, Bios, Homöos und Faschos aus ein und demselben Sumpf gekrochen betrachten. Wer ganzheitlich denke, sei auch ein Freund von Brauntönen aller Art. Das läge daran, „dass alles ‚Alternative‘, das Faschistoide wie das Ökologische, der gleichen Ursuppe entstiegen ist“, so der Mann von der taz im schleimfreien Brustton der Überzeugung. Frank glaubt zu wissen, dass sich das Grün der Öko-Bewegung aus dem Braun der Faschisten entwickelt habe. Und die Globuli der Hahnemann-Jünger erschienen nur äußerlich im Weiß der sanftmedizinischen Unschuld. Was Frank als „Ursuppe“ bezeichnet, definiert er leider nicht genau. Es soll etwas Aufständisches sein, etwas, das sich gegen politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder wissenschaftliche Systeme stellt. Dadurch, dass es anders denkt, als man es im jeweiligen System erwartet oder verlangt. So wie man sich damals mit Freikörperkultur, Naturkost und aufmüpfiger Kunst gegen das Kaiserreich stemmte – so Franks Beispiel. Was dann scheinbar wegbereitend direkt in den Nationalsozialismus führte. Schließlich war dessen Begründer nicht nur größenwahnsinnig, sondern auch bekennender Vegetarier, wie Frank es den Lesenden nochmals mahnend ins Gedächtnis ruft.

„Die Waren sind weder verpackt, noch geordnet“ moniert Herr Frank, und verweist lobend auf die Reinraumatmosphäre bei Aldi und Rewe, die scheinbar noch immer jeden Deutschen (m/w/d) beglückt.

Dass es eine braun-esoterische Szene gibt, ist seit langem bekannt. Dass sich diese mit jener ökologischen Szene mit besserverdienendem Hintergrund sehr weit überschneide (der sich inzwischen große Teile der Bevölkerung als zumindest nahestehend empfinden), ist die bloße Meinung des Schreibers. Umfragen besagen genau das Gegenteil. Deren Zahlen erwähnt auch Frank, um im nächsten Satz ganz tief in den Sumpf des Subjektiven abzutauchen. Egal, was die Zahlen sagen, man müsse doch nur in so einen Bioladen gehen: Da rieche es schon beim Betreten nach dem unappetitlichen Schrumpelgemüse, dem man den Konservierungsstoffmangel bereits von weitem ansehe. „Die Waren sind weder verpackt, noch geordnet“ moniert Herr Frank, und verweist lobend auf die Reinraumatmosphäre bei Aldi und Rewe, die scheinbar noch immer jeden Deutschen (m/w/d) beglückt. Bioläden sind für ihn ein geweihter Bezirk, dort einzukaufen eine Kulthandlung. Und alle, die darauf stehen, hätten besagte Meise unterm Pony oder nicht alle Tassen im Schrank.

Womit wir wieder beim Schädel und unserem Denkorgan angelangt sind. Und seinen Verknüpfungen zu Bauch und Verdauung. Immer mehr Menschen leiden unter Nahrungsmittelallergien. Dabei wehrt sich die Darmschleimhaut gegen an sich harmlose Nahrungsbestandteile, erkennt sie als fremd und gefährlich, und beginnt sie zu bekämpfen. Die Folgen dieses Kampfes spüren die Leidtragenden nicht selten beträchtlich: Durchfall, Schmerzen, Blähungen, oder Symptome über den ganzen Körper verteilt. Vielleicht gibt es solche pathologischen Vorgänge ja auch im Gehirn – sozusagen als Denkallergien. Der Denkallergiker macht aus für ihn fremden Gedanken, die er nicht versteht, nicht nachvollziehen und in sein Denksystem einordnen kann, höchst gefährliche Eindringlinge, gegen die konsequent vorgegangen werden muss. Wie im Darm kommt es dabei zu Beschwerden. Im Bereich Bauch mit am unangenehmsten sind die häufigen gasigen Entweichungen. Ähnlich verhält es sich bei der Denkallergie. Nur ist dort das Entweichen komplexer als beim Darm. Es zeigt sich mitunter in intellektuell-geistigen Ergüssen, mal verbaler, mal literarischer Art. Herr Frank zählt wohl zu diesen bedauernswerten Zeitgenossen mit Denkallergie. Nur einen wichtigen Unterschied gibt es zwischen intestinalen und intellektuellen Fürzen: Erstere verflüchtigen sich recht bald wieder. Bei letzteren gibt es heutzutage eine virtuelle Konservierung. So wird auch sein Artikel „Macht Bio wirr?“ wohl zu einem digitalisierten Dauerfurz ohne Verfallsdatum. Wohl dem, der noch bio furzen kann.

Corona (leider) first

Leider bestimmt momentan ein einziges Thema die Diskussion. Deshalb wird sich auch der erste Eintrag auf diesem Blog mit Corona beschäftigen (müssen …):

Vertrauen und Widerstand – Humanitätsrelevanz in Zeiten der Coronakrise

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Dieses Virus hat das Potenzial, unsere Welt auf den Kopf zu stellen. Und das hat es ja inzwischen auch gründlich getan. Aber nicht aus eigenem Antrieb. SARS-CoV-2 besitzt „nur“ die Fähigkeit, sich auf der ganzen Welt auszubreiten, viele Menschen krank zu machen und einige der Infizierten zu töten. Wenn die Welt jetzt Kopf steht – von Australien bis Kanada, von Brasilien bis Japan, dann aufgrund unserer Reaktionen auf das Virus. Die weltweite Coronakrise hat nicht das Virus selbst ausgelöst, das waren wir mit unseren Abwehrmaßnahmen. Der weltumspannende Lockdown ist menschengemacht. Wir hätten das Virus auch ignorieren können (etwa nach dem Beispiel Weißrusslands) oder auf Herdenimmunität setzen (wie es Schweden versuchte). Die weit überwiegende Zahl der fast 200 von COVID-19 betroffenen Länder hat anders gehandelt. Sie haben das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben rigoros zurückgefahren. Inzwischen wird heftig diskutiert, wie sinnvoll ein solches Vorgehen ist – und die Diskussion wird noch an Heftigkeit zunehmen, wenn die Pandemie vorüber ist und man genau erkennen kann, in welchem Zustand sich die Welt dann befindet.

Man kann sagen: Die Menschheit stellt das Leben und die Gesundheit über alles, und ist dafür scheinbar bereit, eine insgesamt recht florierende Weltwirtschaft ins Chaos zu stürzen, im Vertrauen darauf: „Wiederaufbau? Wir schaffen das!“ Manche halten das für Wahnsinn. Kapitalismusfetischisten wie Trump oder Bolsonaro etwa. Doch ihr „economy first“ ist plötzlich eine Minderheitenmeinung. So ziemlich alle sind sich nun einig, dass Gesundheit und Menschenleben vor dem Geld zu stehen haben. Hätte jemand zu Jahresbeginn gedacht, dass es innerhalb kürzester Zeit eine solche Verschiebung der Prioritäten geben wird – und das weltweit? Eigentlich sollte man die momentane Entwicklung dafür dankbar bejubeln. Doch von Jubel ist nichts zu sehen und nichts zu hören. Im Gegenteil: Es ist zunehmend von Widerstand und gar Aufstand die Rede. Niemand ist für neue Einsichten dankbar. Alle haben Angst. Wenn nicht vor dem Virus, dann vor dem Gespenst des totalitären Polizeistaats.

Ist ein Staatsstreich im Gange?

Man muss nicht Trump oder Bolsonaro heißen, um den globalen Lockdown-Szenarien während dieser Pandemie kritisch bis ablehnend gegenüberzustehen. Es genügt, ein wacher Bürger und eine kritische Bürgerin zu sein, um zu erkennen, dass die eingeleiteten Maßnahmen teilweise gravierend in die Freiheitsrechte eingreifen. Das ruft inzwischen immer mehr mahnende Stimmen auf den Plan, die hier eine ernste Gefahr für die Demokratie sehen. Sie glauben, der Staat gehe zu weit und müsse in seine Schranken gewiesen werden. Einige scheinen es ganz genau zu wissen: Das neuartige Corona-Virus sei eigentlich harmlos, nicht gefährlicher als eine gewöhnliche Grippe. Die Corona-Pandemie sei inszeniert. Sie soll zu einem Staatsstreich führen, an dessen Ende eine Diktatur stehe. Manche sehen uns schon vor einer Art Machtergreifung wie während der Nazi-Herrschaft. Sie sehen ein neues Drittes Reich im Entstehen und rufen alle besorgten Bürger dazu auf, dagegen Widerstand zu leisten. Was ist davon zu halten? Ist der Staatsstreich schon voll im Gange, und wachen wir demnächst in einem totalitären und faschistischen Polizeistaat auf?

Nein, das glaube ich nicht. Der Widerstand, der sich nun allerorten formiert, hat das falsche Ziel ins Visier genommen. Der prophezeite Unrechtsstaat, der just jetzt während der Coronakrise etabliert werden soll, ist ein Phantom. Nur wenige Demokratien sind so gefestigt wie Deutschland. Die Gewaltenteilung funktioniert. Die Gerichte weisen die Politik gerade jetzt bei den Grundrechtseinschränkungen immer deutlicher in die Schranken. Da sieht es bei manchen unserer Nachbarn ganz anders aus: Polen hat seine Gerichte gleichgeschaltet und in Ungarn hat Viktor Orbán die Arbeit des Parlaments für unbestimmte Zeit außer Kraft gesetzt. Das heißt nicht, dass bei uns alles gut ist. Bei weitem nicht. Kritik und Widerstand sind wichtig. Aber sie sollten auf das zielen, was tatsächlich eine unkontrollierbare Bedrohung ist. Merkel, Spahn und Söder werden von etwas ganz anderem getrieben als von der Machtgier, sich ihre persönliche Diktatur zu etablieren. Wenn man etwas intensiver über das Thema Corona nachdenkt, erkennt man auch, was das ist.    

Seuchen als kollektives Menschheits-Trauma

Warum verhalten sich während dieser Pandemie an die 200 betroffene Staaten fast einheitlich und fahren ihr gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben bis über die Schmerzgrenze hinaus herunter? Wollen sie alle einen totalitären Staat errichten und die Demokratie abschaffen? Oder agieren sie nach dem Motto: Gesundheit und Leben gehen uneingeschränkt vor? Es mag für einige zwar naiv klingen, aber für mich ist Letzteres eindeutig plausibler. Für diese Ansicht gibt es meines Erachtens gute Gründe. Seuchen haben im Laufe der Geschichte Millionen von Menschen dahingerafft. Bisweilen haben sie apokalyptische Formen angenommen. Wohl wenige Ereignisse mit einem derartigen Gefahrenpotenzial für das Leben eines jeden einzelnen Menschen haben sich so tief in das kollektive Gedächtnis der Menschheit eingeprägt wie die Seuchen. Seuchen zeigen dem Menschen seine Machtlosigkeit schonungslos auf: Der Tod kann wie ein Tsunami über ganze Länder kommen. Pandemien und Machtlosigkeit gehören zusammen. Hätten wir Macht über ein Virus, könnte es nicht zur Seuche werden. Und in dieser Situation der Machtlosigkeit befinden wir uns in der jetzigen Corona-Pandemie genauso wie zu Zeiten der Pest im Mittelalter. Wir wissen zwar heute sehr viel mehr um die Zusammenhänge, es fehlt uns aber an den zentralen Schutzmechanismen: Wir haben keinen Impfstoff und wir haben keine spezifisch wirksamen Medikamente. Es bleibt uns daher nichts anderes, als das, was die Menschen während früherer Seuchen auch taten: dem Virus so gut es geht auszuweichen.

„Wohl wenige Ereignisse mit einem derartigen Gefahrenpotenzial für das Leben eines jeden einzelnen Menschen haben sich so tief in das kollektive Gedächtnis der Menschheit eingeprägt wie die Seuchen.“

Diese Zusammenhänge werden von den heutigen „Faschismus-ante-portas-Rufern“ oft übersehen. Ich will mich an dem Streit gar nicht beteiligen, welche Wissenschaftler nun wirklich recht haben, ob die Drosten-Fraktion oder die Wodrag-Fraktion. Alle präsentieren sie uns ihre Erkenntnisse doch so, dass wir Laien letztlich sagen müssen: Ja, recht hat er. Stimmt, was sie sagt. Und wenn wir das dann in digitalen Endlosschleifen tagtäglich mit passendem Update versehen serviert bekommen, glauben wir eben denen, die uns mehr überzeugen. Ob die, die uns überzeugen, aber auch richtig liegen, können wir gar nicht wissen. Aber wir glauben es zumindest. Das ist ja auch schon was.

Es ist eine allgemein menschliche Erfahrung, dass wir alle lieber jenen Glauben schenken, die unsere eigene Meinung bestärken. Wir lieben unsere Filterblasen über alles, weil sie uns Sicherheit geben. Wir alle leben in unseren Echokammern, auch jene, die alles für richtig halten, was eine besorgte Frau Merkel und ein beherzter Herr Söder tun, und die in der Bundeskanzlerin die große beschützende Mutter und im bayerischen Ministerpräsidenten den neuen St. Georg sehen, der den Corona-Drachen zur Strecke bringt.

Freiheit, Freiheit über alles?

Die Maßnahmen schränken wichtige Grundrechte ein oder setzen sie sogar zeitweise außer Kraft. Weltweit ist das so. In manchen europäischen Nachbarländern sind die Eingriffe noch viel einschneidender als in Deutschland. Den Wenigsten scheint bewusst zu sein: Die Einschränkungen der Grundrechte haben ihren Ursprung in ihnen selbst. Grundrechte sind keinesfalls absolut, sie dürfen eingeschränkt werden – müssen es sogar in Fällen, in denen sonst dem Staat und seinen Bürgern eine Gefahr droht, die ohne eine solche Einschränkung nicht abgewehrt werden kann. Dies ergibt sich aus der UN-Menschenrechtscharta von 1948. Das bedeutet auch, dass es ethisch geboten ist, dass Menschen zeitweise auf bestimmte Grundrechte verzichten, wenn dies dem Schutz der Gemeinschaft oder dem besonders Gefährdeter dient. So gesehen kann die Einschränkung von Grundrechten auch als humanitärer Akt verstanden werden: Man verzichtet auf eigene Rechte, um damit andere schützen zu können.

„Grundrechte sind keinesfalls absolut, sie dürfen eingeschränkt werden – müssen es sogar in Fällen, in denen sonst dem Staat und seinen Bürgern eine Gefahr droht, die ohne eine solche Einschränkung nicht abgewehrt werden kann. Dies ergibt sich aus der UN-Menschenrechtscharta von 1948.“

Man muss aber sehr wachsam sein: Bei so gravierenden Eingriffen in die Grundrechte, wie wir sie in der Corona-Pandemie erleben, muss die Verhältnismäßigkeit gegeben sein. Darüber lässt sich nun diskutieren – und darüber sollte auch gestritten werden. Es muss klar erkennbar sein, dass die Verhältnismäßigkeit regelmäßig und unabhängig überprüft wird und die Regierung das klare Ziel hat, die Einschränkungen, sobald es die Lage zulässt, wieder aufzuheben. Eine Diskussion um die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen muss geführt werden und darf nicht unterdrückt werden. Alles andere wäre ein Zeichen von Staatshörigkeit. Richtig ist auch, dass in der Krisenbewältigung von staatlicher Seite nicht alles zum Besten gelaufen ist. Gerade bei der Abwägung der Verhältnismäßigkeit der Mittel und Maßnahmen. Gewiss auch nicht beim Umgang mit Zahlen und Daten. Möglicherweise werden sich Virologen, Epidemiologen und Politiker sehr unangenehme Fragen stellen müssen, wenn man einmal absehen kann, wie gravierend die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kollateralschäden der Pandemie wirklich sind. Das Gleiche gilt für die Medien, die während dieser Krise den Vorwurf der „Lügenpresse“ nicht im Geringsten entkräften konnten – eher im Gegenteil. Es müssen ganz grundsätzliche Fragen gestellt werden zum Gesundheitswesen und allen, die an diesem verdienen oder nach der Krise Einfluss auf es gewinnen wollen. Es müssen Fragen gestellt werden zum Umgang der Medizin mit dem Thema Krankheit. Die Frage muss geklärt werden, welche Medizin wir in Zukunft wollen und was für den erkrankten Menschen als ganzheitliches Wesen tatsächlich gut und richtig ist.  All das muss angesprochen und aufgeklärt werden. Aber erst dann, wenn wirklich alle Fakten auf dem Tisch liegen. Und das tun sie heute noch lange nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass man dann den Wodrags, Schiffmanns und Bhakdis in Manchem recht geben muss. Vielleicht erkennt man dann aber auch, dass es um ein Vielfaches schlimmer geworden wäre, hätte man auf sie gehört. Ich habe keine Glaskugel, um zu sehen, wie die Welt im Frühjahr 2021 aussehen wird. Deshalb beteilige ich mich auch nicht an dieser Diskussion. Von entscheidender Bedeutung aber ist: Die Diskussion um das Für und Wider der Corona-Schutzmaßnahmen sollte auf Basis einer nüchternen Wachsamkeit geführt werden.

Von wo die wahre Bedrohung kommt

Sind die gewiss tiefgreifenden Maßnahmen zum Eindämmen der Pandemie also tatsächlich eine gezielt gesteuerte Panikmache, um uns in eine Diktatur zu führen? Wenn es eine Panikmache ist, dann ist sie aus einer irrationalen Angst vor dem schwarzen Tod heraus entstanden, einer Ur-Angst, die noch tief in unser aller Psyche steckt, auch in der von Virologen und Politikern. Und dann sind auch diese nicht vor irrationalem Handeln gefeit. 

Unsere Politiker werden nicht von Machtgeilheit zerfleischt. Da gibt es andere, denen man so etwas eher zutrauen sollte. Diese wohnen nicht im Bundestag oder im Kanzleramt. Sie leben in Amerika. Sie haben uns unsere Freiheit schon längt genommen und durch von ihnen geschaffene Pseudo-Freiheiten ersetzt. Ich meine die riesigen Digitalimperien, die, kaum ein paar Jahrzehnte alt, bereits die ganze Welt beherrschen. Im Gegensatz zu den Freiheiten, die wir (meist freiwillig) an diese schon abgetreten haben, erscheinen die Corona-Einschränkungen fast wie Peanuts. Wir alle sind inzwischen von ihnen abhängig und haben keine Chance, diesen Fesseln zu entrinnen. Wenn diesen Text als Video ins Netz hochlade (Link unten), unterwerfe ich mich zwangsweise diesen Fesseln. Die Büchse der Pandora ist geöffnet, und niemand hat die Macht, die Geister mehr zu bannen.

Unsere Abhängigkeit vom Internet hat fast schon pseudo-religiöse Züge angenommen. Unser Morgengebet ist das Lesen des Morgen-Briefings auf Spiegel-Online und unser Gute-Nacht-Gebet das letzte Checken des WhatsApp-Acounts. Das Gebetsbuch ist unser Smartphone oder unser Tablet. Der Himmel unseres Gottes heißt Silicon Valley. Und dort wohnt ein wahrhaft dreifaltiger Gott: Gott Google, Gott Facebook und Gott Apple. Um seinen Thron steht die ganze Heerschaar der Erzengel: Gates Microsoft, Musk Tesla, Bezos Amazon und wie sie alle heißen. Aber so viele sind es gar nicht. Macht und Menge müssen nicht voneinander abhängig sein.

Seit es das Internet gibt, gibt es zwei Klassen: Jene, die das Netz beherrschen, und jene, die das Netz beherrscht. Auf der einen Seite gibt es nur ein paar Handvoll Menschen, aber mit viel, viel Macht und mit viel, viel Geld. Auf der anderen Seite stehen die 99,99 Prozent der übrigen Menschen. Sie können von den Wenigen beherrscht werden, weil sie von diesen das Gefühl bekommen, frei und mächtig zu sein. Zu ihnen gehören Angela Merkel und die Putzfrau bei Lidl, Donald Trump und die pubertierende YouTuberin mit ihren nervenden Videos, zu ihnen gehören der Papst und der freischaffende Musiker, die Verfassungsrichterin und der Installateur, der gerade eine neue Wasserleitung verlegt, kurz: zu ihnen gehören du und ich. In der Welt der globalen digitalen Vernetzung sind wir keine freien Menschen mehr. Das Tragische dabei ist: Wir meinen das aber, weil man es uns suggeriert.

„Unsere Abhängigkeit vom Internet hat fast schon pseudo-religiöse Züge angenommen. Unser Morgengebet ist das Lesen des Morgen-Briefings auf Spiegel-Online und unser Gute-Nacht-Gebet das letzte Checken des WhatsApp-Acounts. Das Gebetsbuch ist unser Smartphone oder unser Tablet.“

Inzwischen wissen wir, wer von der Coronakrise am meisten profitiert hat: eben diese Digitalimperien aus dem schönen Kalifornien. Bei allen ist der Umsatz deutlich gestiegen. Aber das ist gar nicht das Entscheidende. Macht geht vor Geld. Durch die Coronakrise haben wir alle gelernt: analog ist out, ohne digital geht nichts. Die Nutzung des Internets ist während der Krise rasant gestiegen. Und so wird es auch danach bleiben. Überall hört man nur das Lob der neuen Digitalität, im Beruflichen wie im Privaten: Warum müssen wir heute denn zur Oma fahren? Sie kann doch jetzt Skype. Widerstand? Wie denn? Wie leicht lässt sich für den Schutz des Grundgesetzes ein Pappschild beschriften und für ein, zwei Stunden durch die abstandhaltende Menge tragen. Wer aber widersetzt sich dem Setzen des obligatorischen Häkchens, wenn es auf dem Display oder Monitor heißt: „Zur Nutzung des Programms müssen Sie die Lizenzvereinbarung akzeptieren“?

Widerstand und Humanitätsrelevanz

Wir alle haben seit kurzem einen neuen Begriff in unserem Wortschatz: systemrelevant. Als systemrelevant gelten all jene Berufe, die die Grundpfeiler unserer Gesellschaft aufrechterhalten: von der Pflegerin bis zur Verkäuferin, vom Arzt bis zum LKW-Fahrer. Sie braucht es, wenn das System funktionieren soll. Ohne Zweifel: Die Coronakrise bedroht unser System. Aber noch etwas anderem droht Gefahr: dem Humanen in uns, der Fähigkeit, aus humanitärem Empfinden und daraus abgeleiteten Werten zu handeln.

„Abstraktes lässt sich digitalisieren, Humanes nicht. Menschenliebe, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft, Solidarität, Würde, Mitgefühl, Liebe – all das entzieht sich einer Verdigitalisierung.“

Nach der Coronakrise wird das Digitale unser Leben immer mehr bestimmen. Das muss nicht grundsätzlich schlecht sein. Es bringt gewisse Vorteile mit sich, hat aber auch Nachteile. Und diese Nachteile können tiefgreifende Wirkungen haben, wenn Digitales in Bereiche vordringt, wo es nichts zu suchen hat und wo es Dinge verdrängt, die wir unter dem Begriff des Humanen zusammenfassen. Wenn es um Humanes geht, spielt das Zwischenmenschliche eine entscheidende Rolle. Ohne, dass es zwischen Menschen eine direkte Beziehung gibt, ist Humanität nur eine abstrakte Floskel. Abstraktes lässt sich digitalisieren, Humanes nicht. Menschenliebe, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft, Solidarität, Würde, Mitgefühl, Liebe – all das entzieht sich einer Verdigitalisierung. Dennoch wird von den Protagonisten der schönen, neuen Digitalwelt versucht, auch hier Fuß zu fassen: Corona hat doch gezeigt, dass Vieles auch anders geht – eben digital.

Sollten wir nicht in erster Linie hier an Widerstand denken? Aber wie machen wir das? Sind wir nicht auch hier schon Gefangene, die nicht anders können, als im vorgegebenen Gleis zu fahren? Nein, das sind wir nicht –  noch nicht, solange wir gegen den digitalen Zugriff auf das Humane in uns sozusagen eine Firewall aufbauen. Machen wir einfach das Spiel nicht mit, auch wenn man uns einredet, das sei alles zu unserem Nutzen und quasi alternativlos. Hier reichen keine Schilder, die man mal eben hochhalten kann. Hier muss man sich verweigern.

Systeme sind für unser Leben von großer Bedeutung, seien sie in der Gesellschaft, der Wirtschaft oder im Gesundheitswesen. Noch über diesen Systemen steht aber die Humanität. Humanität ist die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben. Wenn wir das, was Systeme aufrechterhält, heute als relevant bezeichnen, dann muss es auch etwas geben was für Humanität relevant ist.

  • Sich in andere hineinversetzen können ist humanitätsrelevant.
  • Anderen zuhören können ist humanitätsrelevant.
  • Verzeihen können ist humanitätsrelevant.
  • Eigene Ansprüche zurückstellen können ist humanitätsrelevant.
  • Sich bedingungslos lieben können ist humanitätsrelevant.
  • Anderen ihre persönlichen Überzeugungen zugestehen können ist humanitätsrelevant.
  • Kultiviert diskutieren und streiten können ist humanitätsrelevant.

Widerstand ist überall dort notwendig, wo man versucht, hier zu relativieren und die Probleme, die es im Humanen gibt, auf digitale Weise und mit Hilfe von künstlicher Intelligenz lösen will. Humanitätsrelevantes muss human, also menschlich bleiben. Gerade in Bereichen, wo das Zwischenmenschliche unabdingbar ist (sei es in Erziehung, Bildung, Pflege), darf es keine Kompromisse geben. Und vor allem nicht in der Medizin. Denn der Mensch ist des Menschen beste Medizin, und keine von irgendjemandem kontrollierte Gesundheits-App.  

Wenn wir dem Humanitätsrelevanten in uns und in unserer Gesellschaft jetzt ganz bewusst den Raum geben, den es immer mehr zu verlieren droht, dann arbeiten wir alle gemeinsam daran, dass diese Krise ein gutes Ende nehmen kann. 

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https://www.youtube.com/watch?v=R9dlb3C3keE