„Gute Medizin braucht keine Alternative“ – Wirklich nicht?

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Skeptiker mögen keine Globuli, das weiß man inzwischen. Seit einiger Zeit arbeiten sie emsig daran, dass auch die Gesellschaft keine Globuli mehr mag. Und auch keine Akupunkturnadeln. Und keine Eurythmie. Und keine Osteopathie (eine weitere Aufzählung erspare ich mir und Ihnen).  Das nennen sie Aufklärung. Aufklärung verstehen die Skeptiker im Sinne von „über die richtigen Fakten aufklären“. Von diesen Fakten haben sie eine ganze Menge in ihrem Argumentationsköcher: einige scharfe Pfeile (sprich Argumente), mehr stumpfe Pfeile als man denkt, und nicht wenige zurechtgebogene Pfeile. Ich möchte letztere „Pseudo-Argumente“ nennen. Ein solches ist der Ausspruch: „Gute Medizin braucht keine Alternative“. Man könnte die Aussage auch so formulieren: Gute Medizin ist alternativlos.

Was ist gute Medizin? Gute Medizin hilft dem Kranken so gut es geht und schadet ihm so wenig wie möglich. Beides gehört zusammen, sonst kann man nicht von guter Medizin sprechen. Allein dass man dies betonen muss zeigt schon: Medizin scheint ambivalent zu sein. Wo gehobelt wird, fallen Späne. Wo behandelt wird, gibt es therapeutische Kollateralschäden. So ist es in der Medizin seit es sie gibt. Die Medizin hat sich im Laufe der Jahrhunderte weiterentwickelt und Vieles ist heil- oder zumindest behandelbar geworden, was früher unweigerlich zum Tode führte. Damit haben aber auch die möglichen Schäden zugenommen, die durch die Medizin entstehen können. Das aber nur nebenbei. Um diesen Aspekt geht es eigentlich nur am Rande. Viel wichtiger ist die Frage, wie viel Hilfe, Linderung oder Heilung eine Medizin wirklich bieten muss, damit sie auf Alternativen verzichten kann. Die Antwort ist einfach: Sie muss in jedem einzelnen Fall, vollkommen, vollständig und dauerhaft wirksam sein. Kann sie diesen Anspruch nicht erfüllen, muss sie entweder mit den Achseln zucken oder nach Alternativen Ausschau halten.

Das nicht selten zu hörende „Damit müssen Sie halt leben – der Nächste bitte“ ist eigentlich ein Schlag ins Gesicht der therapeutischen Ethik.

Die erste Möglichkeit sollte immer die allerletzte Option sein. Mit ihr wird in der Medizin viel zu leichtfertig umgegangen. Das nicht selten zu hörende „Damit müssen Sie halt leben – der Nächste bitte“ ist eigentlich ein Schlag ins Gesicht der therapeutischen Ethik. In der Regel (so ist zumindest zu hoffen) wird auch in jeder konventionellen Behandlung nach Alternativen gesucht, wenn die bestmögliche und leitliniengerechte Therapie versagt (was häufiger vorkommt als man denkt). Dann versucht man es eben mit Methoden oder Mitteln, die weniger Evidenz haben, aber doch vielleicht hilfreich sein können. Insoweit gibt es in der Schulmedizin jede Menge „Alternativmedizin“. Aber gute Medizin soll ja ohne Alternativen auskommen, will man uns weismachen. Diese „gute Medizin“ der Skeptiker ist keine Vision, sie ist eine Illusion. Das Scheitern gehört zum täglichen Brot jeder therapeutischen Arbeit, so wie Knecht Ruprecht zu Sankt Nikolaus.

In der Medizin braucht der Griff ins Alternative bisweilen Mut. Gerade wenn das Spektrum der anerkannten Therapien ausgereizt ist. Spätestens dann setzen die meisten Schulmediziner ihre Achseln in Bewegung: Das war’s dann. Die Mutigen unter ihnen schauen in solchen Fällen nicht nur über den Tellerrand, sondern greifen auch über ihn hinaus. Erfahrene Praktiker haben da oft am wenigsten Berührungsängste: „Ich sag’s nur unter der Hand, aber in XY gibt’s einen Geistheiler. Vielleicht probieren Sie’s doch mal da …“ Damit macht sich ein solcher Arzt oder eine solche Ärztin nach Ansicht der Skeptiker der Beihilfe zur Scharlatanerie schuldig. Man kann es aber auch anders sehen: Wenn er oder sie es beim Achselzucken belässt, aber weiß, dass viele bei einem solchen „Wunderheiler“ Hilfe gefunden haben (und sei es nur über den vielgescholtenen Placeboeffekt), dann machen sie sich der unterlassen Hilfeleistung schuldig.

Kurz: Eine Medizin, die auf Alternativen verzichtet, ist keine gute Medizin. Wie man die Alternativen einschätzt und bewertet, ist eine andere Sache. Aber eine alternativlose Medizin ist kein Fort- sondern ein Rückschritt. Ersparen wir uns einen solchen.     

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