Integrative Medizin – ein trojanisches Pferd?

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Es ist nicht leicht, die unkonventionellen Heilverfahren in der Medizin mit einem einheitlichen und gleichzeitig passenden Begriff zu versehen. Bei genauer Betrachtung erscheinen alle üblichen Begriffe für einen Oberbegriff, der allgemein akzeptiert werden kann, als mehr oder weniger ungeeignet. Grund ist, dass sie jeweils nur einen Teilaspekt abdecken. Dabei beschreiben sie die Verfahren meist nur in einem besonderen Bezug zur wissenschaftlich anerkannten Schulmedizin. Gängig sind drei Begriffe: Alternativmedizin, Komplementärmedizin und integrative Medizin. Alle drei meinen nicht dasselbe. Alternativmedizinisch werden unkonventionelle Therapien bezeichnet, wenn man sie als Ersatz für schulmedizinische anwendet. Bei der Komplementärmedizin gelangen sie als Ergänzung oder Erweiterung allgemein anerkannter Methoden zum Einsatz. Als integrativ bezeichnet man das Bestreben, die unkonventionellen Methoden in die Schulmedizin zu integrieren.

Heute ist man allgemein bestrebt, von integrativer Medizin zu sprechen, wenn z.B. Naturheilverfahren, Homöopathie oder chinesische Medizin zusammen mit schulmedizinischen Therapien angewendet werden. Integrativ hört sich ja gut an, ist es das aber auch? Zweifel sind angebracht. Bei einer Integration geht es ja um eine Eingliederung. Etwas von außen soll sich in ein bestehendes System einordnen und somit Teil von ihm werden. Das wird aber nur dann erfolgreich sein können, wenn das zu Integrierende sich zentralen Grundelementen des Systems anpasst, in das es aufgenommen werden soll. Genau hier liegt bei der integrativen Medizin ein großes Problem.

Manche Verfechter dieses Modells geben sich offen und sagen, alles aus dem Bereich unkonventioneller Heilmethoden könne in die Medizin aufgenommen werden, solange es naturwissenschaftlichen Standards entspräche. Das heißt aber auch: Alle anderen Verfahren haben keinen Platz in einer solchen Medizin. Professor Harald Walach spricht in diesem Zusammenhang von einem „Kolonialisierungsversuch“, der alles ausgrenzt, was nicht dem Diktat der Naturwissenschaft folgt. Somit zeigt sich, dass der Begriff „integrative Medizin“ trügerisch ist und letztlich jenen in die Hände spielt, die die unkonventionellen Heilverfahren aus der Medizin eliminieren wollen.

Wenn sich nun die Begriffe alternativ, komplementär und integrativ allesamt nicht dazu eignen, das weite Feld der „außerschulischen Methoden“ treffend zu beschreiben, muss man sich dann nicht auf die Suche nach einem anderen machen? Da bietet sich ein Wort aus dem Griechischen an, das das Verhältnis der beiden Medizinrichtungen neu beleuchtet. Es ist der Begriff „dyadisch“. Dyas heißt Zweiheit. Heute wird dyadisch meist in der Soziologie und Psychologie verwendet. Dort bezeichnet es eine intensive Zweierbeziehung. Kennzeichnend für eine solche Dyade ist, dass zwei Personen wechselseitig aufeinander bezogen sind, ihre Aktionen und Reaktionen sind aufeinander abgestimmt. In diesem Sinne bilden beide Partner eine Einheit, in der nicht jeder „sein Ding macht“, sondern beide ein gemeinsames Ziel oder eine gemeinsame Aufgabe haben. Dabei stimmen sie ihre Aktivitäten miteinander ab. Sie sind grundlegend eigenständige Menschen, mit eigenem Denken, Fühlen und Handeln, bringen diese Eigenschaften aber in das Gemeinsame ein. Eine gesunde dyadische Beziehung ist grundsätzlich offen für das Gegenüber und ist auch bereit, sich durch eine gegenseitige Wechselwirkung im eigenen Denken, Fühlen und Handeln verändern zu lassen. Wie man dieses Modell auf die Medizin übertragen kann, habe ich im Buch „Alternativloses Heilen“ im Kapitel „Der Gegenentwurf: Eine dyadische Medizin“ beschrieben (ab S. 123): https://zuklampen.de/component/bcpublisher/bk/948-alternativloses-heilen.html?Itemid=

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