Unsere täglichen Pillen gebt uns heute!

In Deutschland werden immer mehr Medikamente genommen. Die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung stiegen 2021 auf über 46 Milliarden Euro. Man prognostiziert für 2045 eine Zunahme des Arzneimittelverbrauchs um bis zu 70 Prozent. https://gesundheit-und-gewaesser-schuetzen.de/bdew-studie-belegt-arzneimittelverbrauch-steigt-mit-alterung-der-gesellschaft/

Liegt der Grund etwa darin, dass wir von Jahr zu Jahr kränker werden? Pillen begleiten unseren Alltag inzwischen als treue Begleiter. Die Pharmakologisierung der Gesellschaft fängt schon in den ersten Lebensmonaten an und endet oft im hohen Alter mit einem ganzen Multimedikations-Cocktail. Die Konditionierung verfängt schon sehr früh: Warum beim Baby umständliche Wadenwickel machen, wenn ein Fieberzäpfchen doch so schnell eingeschoben ist? Unser Verhältnis zum Kranksein hat sich immer mehr verändert. Heute holt man seine Medikamente ab, schluckt sie und wartet, bis sie wirken. Mehr ist von einem selbst nicht zu tun.

Natürlich dürfen wir dankbar sein für viele lebensrettende und starke Symptome lindernde Arzneien. Niemand will sie missen, keiner wird sie verdammen. Aber es scheint, als ob in der Medizin der Sinn für das richtige (gesunde) Maß verloren gegangen ist. Dabei gibt es genügend Gründe, den Arzneimittelverbrauch zu reduzieren. Denn wie wir eine schnelle und starke Verminderung der CO2-Freisetzung benötigen, brauchen wir rasch eine deutliche Verringerung des „Arzneimittelausstoßes“. Nicht nur Treibhausgase sind ein ökologisches Problem, auch Arzneimittelrückstände häufen sich in der Umwelt immer stärker an, in Gewässern, im Trinkwasser, in Böden. https://www.test-wasser.de/medikamente-im-trinkwasser

Mit bisher noch gar nicht genau zu bestimmenden Folgen für unsere Gesundheit, vor allem jener kommender Generationen. Es muss ein Konzept her, wie die potenziell gesundheitsgefährdenden Rückstände deutlich reduziert werden können. Hier stellt sich dann die Frage: Welche Rolle können dabei alternativ- und komplementärmedizinische Heilverfahren spielen?

Neues aus der Globukalypse

Was macht ein Terrorismusexperte bei einem Anti-Homöopathie-Verein?

Aus dem Umfeld des "Informationsnetzwerk Homöopathie" kommen schräge Töne: Chef-Sprecher Dr. Lübbers vermeldet die Erkenntnis, dass es eine Verbindung zwischen Globuli und Terrorismus gibt. Auf dem Umweg der Querdenker führe das Globulinehmen zu einer wachsenden Terrorgefahr. Bindeglied zwischen beiden sei die Wissenschaftsfeindlichkeit, so der Aktivist aus dem INH. Homöopathie sei also brandgefährlich für die Gesellschaft, so das Credo von Dr. Lübbers. Höchste Zeit, sie aus der Medizin mit Stumpf und Stiel auszureißen. Wenn das nur so einfach wäre ...
Beitrag als Video anschauen: https://www.youtube.com/watch?v=P45VycFt3yc

Deutschland galt immer als Land der Vereinsmeier. Das scheint auch heute noch so zu sein. Für alles und jedes gibt es einen Verein. So auch einen der Anti-Globuli-Freunde. Sie haben sich als „Informationsnetzwerk Homöopathie“ (INH) das Ziel gesetzt, die Homöopathie aus Medizin und Gesellschaft auszumerzen. Chefsprecher des Vereins ist Dr. L. aus W., ein HNO-Arzt aus dem Bayerischen. Seit Jahren kämpft er mit Feuereifer gegen die Globulizunft, dieser existenziellen Bedrohung für das medizinische Abendland.

Dr. L. mag Twitter. Als Schöpfer und geistiger Kopf hinter #Globukalypse wettert er dort häufig und gerne gegen Globuli und jene, die sie anwenden. Das macht ihm sichtlich Spaß. Seiner Community offenbar auch. „Hau den Lukas“ war auf den Jahrmärkten früherer Jahrzehnte stets ein beliebter Zeitvertreib für Halbstarke. Dieses Spiel gibt es eben jetzt auf Twitter. Wir leben in anderen Zeiten. Neulich ließ der Doktor wieder einen Tweet vom Stapel, der das Herz eines jeden Globuliverächters hochschlagen ließ. Quintessenz des 280-Zeichen-Ergusses war: „Homöopathie bereitet den Weg zur Unwissenschaftlichkeit, Unwissenschaftlichkeit führt geradewegs zum Querdenkertum und Querdenkertum mündet im Terrorismus. Deshalb: Null Toleranz, denn das kostet Menschenleben!“ Nun also die Terrorismuskeule, während die Nazikeule in der anderen Hand noch immer freudig am Schwingen ist.

Wenn man die Anti-Globuli-Szene beobachtet fällt auf: die Attacken werden härter. Es fing mal mit Spinnern und Scharlatanen an, ging mit Betrügern und Mafiosi weiter, und jetzt sind wir inzwischen bei Antisemiten und Terroristen angekommen. Alles wegen ein paar süßen, unschuldigen Zuckerkügelchen. Der unvoreingenommene Beobachter reibt sich verwundert die Augen. Was ist denn hier los? Nun, der überzeugte Anti-Globulist hat seine Gründe, die hier zu wiederholen wohl langweilen dürfte. Grundtenor aller vorgebrachten Einwände ist die Unwissenschaftlichkeit der Homöopathie. Ein gerne gebrauchtes Wort in diesem Zusammenhang ist „Wissenschaftsfeindlichkeit“. Wer Globuli herstellt, sie verordnet oder sie auch nur anwendet, der ist ein Feind der Wissenschaft. Das ist ein schwerwiegender Vorwurf. Denn, so die Vereinsmeier des INH, wer ein Feind der Wissenschaft ist, ist ein Feind der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, ein Feind der Gesellschaft und ein Feind eines humanistischen und ethischen Wertekanons. Nun kann man die Frage stellen, wer eigentlich den Begriff „Feinde der Wissenschaft“ definiert. Und übrigens: Was ist die Definition von Wissenschaft eigentlich?

In der Szene der Anti-Globulisten wird Wissenschaft meist als radikaler Szientismus verstanden. Dieser sagt aus, dass Wissenschaft mit Naturwissenschaft gleichzusetzen ist. Demnach ist alles in der Welt mit Mitteln der Naturwissenschaft beschreib- und erklärbar. Was sich der naturwissenschaftlichen Erklärung entzieht, ist einfach nicht existent, eine Fata Morgana für Gläubige jedweder Couleur. Wissenschaften außerhalb der Naturwissenschaft können keine Wissenschaftlichkeit für sich reklamieren, wenn sie keine rein naturwissenschaftliche Basis haben. Entsprechend dieses Weltbildes erklärt es sich von selbst, dass Szientisten Methoden wie die Homöopathie grundsätzlich ablehnen. Das ist vollkommen nachvollziehbar und wäre auch nicht weiter bedenkenswert, würden die Anti-Globulisten mit dieser Ansicht nicht selbst wieder in Konflikt mit der Wissenschaft treten. Denn der radikale Szientismus steht dem verminten Feld der Wissenschaftsfeindlichkeit näher als es dessen Vertretern lieb ist. 

Die Wissenschaft an sich mit einer bestimmten Form der Wissenschaftstheorie (hier dem Positivismus) gleichzusetzen, ist mehr als gewagt. Denn damit kommt der Feind aller Wissenschaft, das Dogma, durch die Hintertür. Es ist jenes Dogma, dass es zur Erforschung der gesamten Realität nur einen einzigen Weg des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns gebe, nämlich den streng naturwissenschaftlichen. Das erinnert an den alten römischen Spruch, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gibt. Womit sich der Bogen weit ins Religiöse spannt. In diesem Anspruch, den einzig wahren Weg zu Wahrheit und Erkenntnis zu besitzen, stehen sich der Szientismus und die Religion auffallend nahe. So manche Anti-Globuli-Kämpfer haben wohl ein Problem mit dem Verlust einer Sicherheit gebenden Rückbindung ins Metaphysische – und suchen nun ebensolche im rein Physischen, bzw. Physikalischen. Kann man machen, wenn man einer solchen Art von „religio“ bedarf. Nur sollte man das nicht mit Wissenschaftlichkeit gleichsetzen.  

Solch erkenntnistheoretische Überlegungen sind nicht unbedingt die Welt, in der sich Anti-Globuli-Aktivisten wie Dr. L. aus W. wohlfühlen. Sie lieben nun mal den medial zwitschernden Jahrmarkt über alles. Wohl der Einfachheit wegen. Der Einfachheit im Denken. Wo es sich so wohlig einnisten lässt in einem minimalistischen Entweder-Oder, das Schutz bietet vor dem gefährlichen Sowohl-als-auch, das doch nichts als Angst macht. Diese unheimliche Angst, dass doch etwas dran sein könnte an diesem imprägnierten Zucker. Doch diese Angst wird wirksam unterdrückt. Ein bedingungsloser Kampf eignet sich da bestens als Kompensator.  

So werden sich die Freundinnen und Freunde der Homöopathie wohl bald auf die nächsten Schläge der globuliphoben Marktbuden-Rambos einstellen müssen. Aber, wie soll man auf sie reagieren, wenn man wie neulich so plump mit Terrorismus in Verbindung gebracht wird? Entrüstete Kommentare schreiben? Mit gleicher Münze heimzahlen? Energie zu vergeuden war noch nie eine gute Idee. Man könnte sich ja zurücklehnen und dem weiteren Gang der surrealen Komödie zuschauen. Und staunen, wie aus so engumgrenzten Denkräumen derart aufgeblähter Nonsens entweichen kann. Und darauf vertrauen, dass alle ach so Selbstsicheren irgendwann immer ins Straucheln kommen. Und dafür gewappnet sein. Ergo: Man darf gleichsam ge- wie entspannt sein.   

Heilpraktiker – Die größte Gefahr für das deutsche Gesundheitswesen?

Doktor spielen ohne Ahnung zu haben, das seien die Heilpraktiker. So hallt es seit geraumer Zeit durch die Medienlandschaft. Hauptschulabschluss vorausgesetzt und mit einer Überprüfung beim Gesundheitsamt in der Tasche, darf jede und jeder selbstverantwortlich medizinisch tätig sein. Er oder sie müssen nicht einmal eine entsprechende Ausbildung nachweisen. So ist die Rechtslage. Wo gibt’s denn sowas? In Deutschland, und in abgewandelter Form auch in der Schweiz. Und wer hat sich das ausgedacht? Die Nazis. Und wer läuft bei den „Covidioten“ in vorderster Reihe? Na klar: Heilpraktiker. Ob das alles den Tatsachen entspricht oder nicht: Spätestens an dieser Stelle wird man in weiten Teilen der Bevölkerung einen empörten Aufschrei hören und ein entsetztes „Das darf doch nicht wahr sein!“, dem ein erbostes „Das gehört verboten!“ folgt. Selten war es wohl einfacher, ein Feindbild zu erschaffen.

In der Tat: Angesichts der Zugangsvoraussetzungen und der gesetzlichen Rahmenbedingungen bekommen auch manche Vertreter dieses Berufsstandes zeitweise leichtes Bauchgrimmen. Hier mit plausiblen Gegenargumenten zu antworten ist alles andere als einfach. Der Hinweis auf die große Beliebtheit, die die Heilpraktiker in der Bevölkerung genießen, ist nicht unbedingt schlagkräftig, das wissen auch sie. Auch dem Vorwurf der Kurpfuscherei kann man nicht ohne weiteres entgegentreten, ist doch ein Kurpfuscher ursprünglich eine Person, die ohne ausreichende ärztliche Ausbildung Kranke behandelt. So ist der Begriff Heilpraktiker nichts weiter als eine in den 1930er Jahren neu geschaffene Bezeichnung für den Kurpfuscher, dem man jedoch immer schon unlautere Absichten und unsauberes Arbeiten unterstellt hatte. Kurpfuscher waren Quacksalber und Quacksalber sind Scharlatane.

Dieses Bild der sogenannten „Laienbehandler“ herrscht auch heute noch in manchen Kreisen vor. Vor allem in wissenschaftlichen, akademischen und säkularen, die sich in der „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“ (GWUP) zusammengeschlossen haben, der Nachfolgeorganisation der 1903 gegründeten „Gesellschaft zur Bekämpfung des Kurpfuschertums“. Die GWUP, deren Ziel es u.a. ist, die alternativen Heilmethoden aus der Medizin zu eliminieren, hat an dem Narrativ des „skrupellosen und gefährlichen Naturheilers“ maßgeblich mitgewirkt. Sie hat es verstanden, ein negatives Bild der Heilpraktiker in immer weitere Kreise zu tragen. Enge Verbindungen zu den Medien war ihnen dabei eine wertvolle Hilfe. Wie gefährlich Heilpraktiker tatsächlich sind, ob sie wirklich skrupellos vorgehen und wie nah sie rechts-esoterischen Kreisen stehen, wie immer wieder kolportiert wird, ist kaum mit belastbaren Daten untermauert. Die wichtige Frage, die man sich zunächst stellen muss, ist sicher die, ob es solche Art Behandler überhaupt braucht.

„Wie gefährlich Heilpraktiker tatsächlich sind, ob sie wirklich skrupellos vorgehen und wie nah sie rechts-esoterischen Kreisen stehen, wie immer wieder kolportiert wird, ist kaum mit belastbaren Daten untermauert.“

Nachdem im Gefolge der Aufklärung die Medizin zunehmend akademisiert und den Naturwissenschaften zugeordnet wurde, waren die „Heilkundigen des Volkes“ weitgehend verpönt, zumindest in wissenschaftlichen Kreisen – nicht aber unter dem „einfachen Volk“, dem sie ja entstammten. Die zunehmend pharmakologisierte und mechanisierte Medizin erzeugte bei nicht wenigen ein mulmiges Gefühl, während die „Naturheiler“ mit dem arbeiteten, was man seit jeher kannte; eben das, was „Mutter Natur“ bot: Kräuter, Wasser, Steine und allerlei Sonstiges, mit was die Menschen von Kindheit an umgingen. Die Überzeugung, dass das Naturwissenschaftliche in der Medizin immer auch das Wirksame und das „Laienhafte“ unwirksam ist, hat sich schon in der Anfangszeit der akademischen Medizin in Gehirne der Ärzteschaft eingegraben – ebenso bei den Menschen die Überzeugung, das Natürliche sei immer auch sanft und ganzheitlich, die als Kurpfuscher Verschrienen daher auch die „wahren Heilkundigen“. Der Glaubenskrieg um das „richtige Heilen“ ist also schon alt.

Nun haben aber manche dieser nichtärztlichen Kurpfuscher nachhaltige Spuren hinterlassen, meist in die sogenannte Alternativmedizin, teilweise aber auch bis in die moderne Medizin hinein. Franz Anton Mesmer, Johann Schroth, Sebastian Kneipp, Emanuel Felke, Johann Künzle: Sie alle waren medizinische Laien und haben doch altes Wissen neu entdeckt oder weiterentwickelt. Manche gelten heute als Begründer eigenständiger naturheilkundlicher Heilverfahren – und das, ohne dass sie je ein Semester Medizin studiert hatten. Dieser Umstand berührt wohl das Zentrum der Frage nach dem Grund, weshalb es „außerschulische“ Heilkundige geben sollte. Würde Medizin nur und ausschließlich auf Basis naturwissenschaftlicher Erkenntnisse funktionieren (und der Mensch daher als ver- und berechenbare Maschine betrachtet werden), könnten naturwissenschaftlich nicht Ausgebildete keine wirksamen und dauerhaft erfolgreichen Heilmethoden entwickeln. Folglich muss zur Medizin neben einer rein naturwissenschaftlichen Begründung noch etwas anderes gehören, was sich dem streng rationalen Erforschen und Anwenden entzieht. Wird dies ausgeklammert, engt sich der Rahmen des medizinischen Handelns auf das rein naturwissenschaftlich Erkenn- und Begründbare ein. Für den medizinischen Auftrag „kranke Menschen gesund zu machen, was man heilen nennt“ (Samuel Hahnemann) würde dies eine Reduzierung der therapeutischen Handlungsmöglichkeiten zu Lasten der Patienten bedeuten.

„Für eine Medizin der Zukunft heißt dies, dass die Heilpraktiker ihr Profil dahingehend schärfen sollten, dass sie sich zentral als „Fachtherapeuten für Selbstheilmedizin“ betrachten, und alles aufgeben sollten, was sie als „Pseudo-Ärzte mit sanftem Image“ darstellt.“

Daraus nun leitet sich für die Existenzberechtigung eines anerkannten Heilberufs ohne „ärztliche Bestallung“ allerdings noch eine Begründung auf tieferer Ebene ab. In der Medizin ist seit jeher bekannt, dass sich lebende Systeme wie Pflanzen, Tiere – und damit auch Menschen –  selbst heilen können. Sie haben die Fähigkeit zur Selbstregulation und damit zur Selbstheilung. Das weiß auch die Schulmedizin und kann bei nicht wenigen Krankheiten angeben, wie hoch die Rate der sogenannten Selbstremissionen ist, jener Fälle also, die ohne spezifische Therapie von sich aus ausheilen. Das ist nur möglich, wenn es die Selbstheilungskräfte gibt. Nur: Diese „Instanz“ der selbstheilenden Mechanismen oder Faktoren spielt im therapeutischen Konzept der Schulmedizin so gut wie keine Rolle. Man kennt sie zwar, arbeitet aber nicht mit ihnen. Das unterscheidet die Verfahren der offiziell anerkannten Medizin von vielen, die aus der alternativen oder komplementären Ecke kommen. In den „außerschulischen Verfahren“ sind sie oft die zentrale Ebene, auf die therapeutische Interventionen abzielen. Wenn es aber in der „wissenschaftlichen Medizin“ niemanden gibt, der diesen Bereich gezielt therapeutisch bearbeitet, dann muss man Menschen, die sich „auf dieses Geschäft verstehen“ mit ins Boot nehmen und darf sie nicht bekämpfen und ausschließen. Das wäre für die Medizin als Ganzes von Nachteil und vor allem für die Patienten – gerade jene, denen die Schulmedizin nicht oder nicht mehr helfen kann.

Für eine Medizin der Zukunft heißt dies, dass die Heilpraktiker ihr Profil dahingehend schärfen sollten, dass sie sich zentral als „Fachtherapeuten für Selbstheilmedizin“ betrachten, und alles aufgeben sollten, was sie als „Pseudo-Ärzte mit sanftem Image“ darstellt. Dass das Heilpraktikergesetz von 1933 der heutigen Zeit angepasst wird, dürfte wohl unweigerlich auf der politischen Agenda der kommenden Jahre stehen. Ein kompromissloses Beharren auf dem Status quo wird nicht nur wenig Erfolg haben, es könnte sich sogar als kontraproduktiv erweisen. Wie die Umgestaltung geschehen kann, sollte man aber nicht fachfremden Politikern und schon gar nicht der Propaganda ideologischer Szientisten der GWUP und ihren fundamentalistischen Anhängern überlassen. Dazu wäre es angebracht, sich in der Diskussion als aktive Gestalter und Ideengeber zu zeigen und nicht als Verweigerer, die alle Gedanken über eine Neugestaltung ablehnen oder gar bekämpfen. Die Welt lebt vom Wandel. Gestalteter Wandel ist Wandel in Freiheit, erzwungener Wandel ist Wandel in Knechtschaft.    

Integrative Medizin – ein trojanisches Pferd?

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Es ist nicht leicht, die unkonventionellen Heilverfahren in der Medizin mit einem einheitlichen und gleichzeitig passenden Begriff zu versehen. Bei genauer Betrachtung erscheinen alle üblichen Begriffe für einen Oberbegriff, der allgemein akzeptiert werden kann, als mehr oder weniger ungeeignet. Grund ist, dass sie jeweils nur einen Teilaspekt abdecken. Dabei beschreiben sie die Verfahren meist nur in einem besonderen Bezug zur wissenschaftlich anerkannten Schulmedizin. Gängig sind drei Begriffe: Alternativmedizin, Komplementärmedizin und integrative Medizin. Alle drei meinen nicht dasselbe. Alternativmedizinisch werden unkonventionelle Therapien bezeichnet, wenn man sie als Ersatz für schulmedizinische anwendet. Bei der Komplementärmedizin gelangen sie als Ergänzung oder Erweiterung allgemein anerkannter Methoden zum Einsatz. Als integrativ bezeichnet man das Bestreben, die unkonventionellen Methoden in die Schulmedizin zu integrieren.

Heute ist man allgemein bestrebt, von integrativer Medizin zu sprechen, wenn z.B. Naturheilverfahren, Homöopathie oder chinesische Medizin zusammen mit schulmedizinischen Therapien angewendet werden. Integrativ hört sich ja gut an, ist es das aber auch? Zweifel sind angebracht. Bei einer Integration geht es ja um eine Eingliederung. Etwas von außen soll sich in ein bestehendes System einordnen und somit Teil von ihm werden. Das wird aber nur dann erfolgreich sein können, wenn das zu Integrierende sich zentralen Grundelementen des Systems anpasst, in das es aufgenommen werden soll. Genau hier liegt bei der integrativen Medizin ein großes Problem.

Manche Verfechter dieses Modells geben sich offen und sagen, alles aus dem Bereich unkonventioneller Heilmethoden könne in die Medizin aufgenommen werden, solange es naturwissenschaftlichen Standards entspräche. Das heißt aber auch: Alle anderen Verfahren haben keinen Platz in einer solchen Medizin. Professor Harald Walach spricht in diesem Zusammenhang von einem „Kolonialisierungsversuch“, der alles ausgrenzt, was nicht dem Diktat der Naturwissenschaft folgt. Somit zeigt sich, dass der Begriff „integrative Medizin“ trügerisch ist und letztlich jenen in die Hände spielt, die die unkonventionellen Heilverfahren aus der Medizin eliminieren wollen.

Wenn sich nun die Begriffe alternativ, komplementär und integrativ allesamt nicht dazu eignen, das weite Feld der „außerschulischen Methoden“ treffend zu beschreiben, muss man sich dann nicht auf die Suche nach einem anderen machen? Da bietet sich ein Wort aus dem Griechischen an, das das Verhältnis der beiden Medizinrichtungen neu beleuchtet. Es ist der Begriff „dyadisch“. Dyas heißt Zweiheit. Heute wird dyadisch meist in der Soziologie und Psychologie verwendet. Dort bezeichnet es eine intensive Zweierbeziehung. Kennzeichnend für eine solche Dyade ist, dass zwei Personen wechselseitig aufeinander bezogen sind, ihre Aktionen und Reaktionen sind aufeinander abgestimmt. In diesem Sinne bilden beide Partner eine Einheit, in der nicht jeder „sein Ding macht“, sondern beide ein gemeinsames Ziel oder eine gemeinsame Aufgabe haben. Dabei stimmen sie ihre Aktivitäten miteinander ab. Sie sind grundlegend eigenständige Menschen, mit eigenem Denken, Fühlen und Handeln, bringen diese Eigenschaften aber in das Gemeinsame ein. Eine gesunde dyadische Beziehung ist grundsätzlich offen für das Gegenüber und ist auch bereit, sich durch eine gegenseitige Wechselwirkung im eigenen Denken, Fühlen und Handeln verändern zu lassen. Wie man dieses Modell auf die Medizin übertragen kann, habe ich im Buch „Alternativloses Heilen“ im Kapitel „Der Gegenentwurf: Eine dyadische Medizin“ beschrieben (ab S. 123): https://zuklampen.de/component/bcpublisher/bk/948-alternativloses-heilen.html?Itemid=

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